Rückblick auf das ☝️mit Abstand ☝️ skurrilste Jahr seit Doedelgedenken

[Bildlegende: Dieses Bild aus meiner Kindheit ist für mich das ultimative Symbolbild für das Jahr 2020. Begonnen hat alles ganz friedlich und in guter Absicht, aber dann ging es nur noch abwärts und der Schreck stand uns ins Gesicht geschrieben.]

Ich habe mich am Neujahrstag mit Günnter*, meinem inneren Schweinehund, über das Ausnahme-Jahr 2020 unterhalten.

Günnter: Hallo mein Sonnenschein frohes, neues Jahr! Eigentlich wollten wir dieses Gespräch ja gestern Abend, also an Silvester führen. Wir hatten es uns dafür schon auf der Couch gemütlich gemacht. Der letzte Abend des unglaublichen Jahres 2020, er hätte ja so entspannt sein können

Doedel: Hallo mein lieber Schweinehund – auch dir ein frohes und vor allem gesundes neues Jahr!

Ja, das Gespräch war ursprünglich gestern, im Anschluss an unser romantisches „Dinner for One“ geplant. Aber dann flatterte mir diese Anzeige von Swissqueya, einer brandneuen Online-Zumba-Plattform, auf den Bildschirm und da gab es kein Halten mehr. DAS war der Startschuss für eine beispiellose Silvester-Dance-Challenge wie sie zumindest unser Single-Haushalt noch nie erlebt hatte. Das Erste, was ich im neuen Jahr dringend brauchte war eine Dusche 🙂

Bewegung scheint zu einer Art Routine für Silvesternächte zu werden. Letztes Jahr schlurften wir stundenlang durch die Strassen Bariloches.

Tatsächlich! Vor genau einem Jahr, am ersten Weihnachtstag 2019 um präzis zu sein, brachen wir beide zu unserem Abenteuer ans Ende der Welt auf. Nach einer kleinen Verschnaufpause in Buenos Aires erreichten wir pünktlich zum Jahreswechsel unser neues Zuhause am malerischen Lago Nahuel Huapi im nördlichen Patagonien. Für uns war in jener milden Silvesternacht sonnenklar: DAS würde ein verdammt gutes Jahr werden! (Mehr dazu im Artikel Das exklusive Interview zum Jahreswechsel 2019/2020)

Heute, am Neujahrstag des Folgejahres, scheint die ganze Welt einfach nur froh zu sein, dass 2020 endlich der Vergangenheit angehört. 2021 kann nur besser werden, lauten die Kernbotschaften der Schlagzeilen…

Dass wir im Jahr 2020 geschlagene zwei Monate reisend verbringen durften, grenzt retrospektiv an ein kleines grosses Wunder. Was für ein Glück, dass wir es gerade noch rechtzeitig zurück nach Hause geschafft hatten, puh! (genehmigt sich einen zünftigen Schluck vom Ingwertee)

Mit Verlaub, das haben wir hauptsächlich meiner Wenigkeit zu verdanken. Du wolltest ja ursprünglich noch einige Wochen dranhängen. Es brauchte einiges an Überredenskunst meinerseits, pah! (zieht die rechte Augenbrauen streng nach oben)

Du hast ja recht. Ich erinnere mich, wie ich beim Buchen des Rückflugs eigentlich die zweite März-Hälfte im Visier hatte, dann aber intuitiv doch auf ein Datum Ende Februar wechselte. Es war letztlich eine Bauchentscheidung, gespickt mit einer Prise Schweinehund-Vernunft (zwinkert), der ich es verdanke, nicht Teil der grössten Rückholaktion der Schweiz geworden zu sein. Es sind solche Erlebnisse, die das Vertrauen in mein Bauchgefühl stärken. Seit vielen Jahren schon. Was wäre ich bloss ohne mein Bauchgefühl, was wäre ich bloss ohne dich? ❤

Oh, ein Komplidings…. wie lieb von dir! Nun, inzwischen sind wir seit zehn Monaten zurück. Wie beurteilst du unsere „Zeit am Ende der Welt“ heute, also mit etwas Abstand?

(schmunzelt ab der Formulierung „mit Abstand“) Es war eine famose Zeit. Die Vormittage standen voll und ganz im Zeichen meiner grossen Leidenschaft für die spanische Sprache. Nachmittags unternahm ich Ausflüge in der für Outdoor-Aktivitäten bekannten Region rund um Bariloche oder ich arbeitete für eines meiner Hochschul-Projekte. Ich sass dann am Küchentisch, tippte Konzepte, brütete über kniffligen Spezifikationen und wertete die Ergebnisse einer Umfrage aus. Ich nannte es „erweitertes Homeoffice“. Mir gefiel das Modell an einem komplett anderen Ort einem Teil der gewohnten Arbeit nachzugehen. Zurück am Campus wollte ich das Modell mit all seinen Vorzügen und Grenzen meinen Kolleginnen und Kollegen schmackhaft machen. Aber bevor es dazu kommen konnte, äfften mich bereits alle nach indem sie sich ALLE in ihre Homeoffices verzogen hatten.

(kichert kurz und schlägt dann die Hände über dem Kopf zusammen)

Die Schweiz befand sich von einem Tag auf den anderen im Ausnahmezustand und Homeoffice war behördlich angeordnet, wo immer es möglich war.

Gütiger Himmel! Es galt Notrecht. Lockdown. Rien ne va plus. Bämm! Das war vielleicht ein Hammer.

Allerdings. Geleitet von meinem Bauchgefühl (zwinkert) holte ich am Vorabend des Lockdown drüben bei Melectronic ein 5 Meter langes HDMI-Kabel – es war das allerletzte im Regal. Es sollte eine der lohnenswertesten Anschaffungen des Jahres werden. Nebst dem Homebike, versteht sich. Und dem Ticket auf das Jungfraujoch. Und… egal: das Kabel ist jedenfalls längst amortisiert!

Hach ja… und dann blieben wir einfach mal zu Hause, genossen die Frühlingssonne lesend auf der Terrasse, unternahmen entspannte Spaziergänge und erste Velo-Touren und gingen generell alles wundervoll entschleunigt an.

Naja, nebenbei haben wir ja noch ein bisschen gearbeitet. Die Hochschule stellte von einem Tag auf den anderen den Präsenzunterricht ein. Im Zuge des Übergangs auf „Distance Teaching & Learning“ gab es im Hintergrund einiges zu Schwurbeln. Pragmatisches Handeln war gefragt – „liefere statt lafere“ lautete die Devise. Eine verrückte Zeit!
An das Homeoffice-Dasein war ich ja bereits gewohnt. Doch anders als im fernen Patagonien jagte am heimischen Küchentisch nun eine Videokonferenz die nächste. Mir wurde rasch klar, dass eine WorkLife taugliche Tagesstruktur her musste. Ein Hoch an dieser Stelle auf unseren PlanDö…

(hebt die rechte Hand spontan zum HighFive an, bemerkt die pandemiebedingte Unpässlichkeit des gegenseitigen in die Hände Klatschens jedoch sofort und streicht sich mit der Hand stattdessen eine Haarsträhne aus der Stirn)

…das Zwischenfazit von PlanDö nach der ersten Quarantäne-Woche liess sich jedenfalls sehen. Die allermeisten Vorsätze daraus blieben mir sogar über all die Monate erhalten und entwickelten sich unterdessen zur Routine. Punktuelle Anpassungen ergaben sich im Zuge der kontinuierlichen Weiterentwicklung von PlanDö – etwa dass die ursprüngliche Treppenhaus-Challenge durch kurze Einheiten auf dem Homebike abgelöst werden konnte. Aber im Grossen und Ganzen passt der Plan nach wie vor gut.

In dem erwähnten Zwischenfazit vergleichst du unser Leben im Lockdown mit Robinson Crusoe auf seiner einsamen Insel und dessen Warten auf bessere Zeiten (aka Freitag). Hand aufs Herz: wie einsam bist du?

Nun, als vor inzwischen neun Jahren mein neues Leben begann, war es mein oberstes Ziel, alleine klarzukommen. Das Alleinsein war damals eine komplett neue Erfahrung für mich. Schliesslich bin ich mit achtzehn Jahren quasi aus meinem Kinderzimmer direkt mit meiner grossen Liebe zusammengezogen und verbrachte die folgenden achtzehn Jahre an seiner Seite. Für den Start in mein neues Leben war es daher essenziell, dass ich alleine glücklich sein und ein erfüllendes Leben führen konnte. Natürlich war es ein ordentlicher Lernprozess, aber er hat sich gelohnt. In der Nachbetrachtung fühlen sich die vergangenen paar Jährchen wie die behutsame Vorbereitung auf das Jahr 2020 an.

Das Jahr 2020 bestand aus Einschränkungen an allen Ecken und Enden. Wie hast du, als durch und durch freiheitsliebendes Geschöpf, diese Zeit überstanden?

Zum Glück war Wandern und Biken ja jederzeit möglich. Ich bin dankbar für viele schöne Wanderungen im Alpstein, im Engadin, im Berner Oberland, im Wallis etc.. Die Woche in Zermatt bleibt mir in besonders toller Erinnerung, etwa das Outdoor-Fondue nach der Wanderung vom Gornergrat runter ins Dorf an meinem Geburtstag. In Zermatt für einmal praktisch ausschiesslich Schweizerdeutsch zu hören, war schon sehr speziell. Dasselbe galt für Interlaken. Corona sei Dank bot sich mir dort denn auch spontan die Möglichkeit auf das Jungfraujoch zu fahren – dies noch dazu an einem wahrlichen Bilderbuchtag.
2020 war nicht nur das Jahr der grossen Einschränkungen. Es war auch ein Jahr von möglicherweise einmaligen Chancen. Unter dem Strich hat mir 2020 durchaus auch die Augen geöffnet und mich zu Aktionen veranlasst, die ich sonst wohl nicht umgesetzt hätte.

Zum Beispiel?

Ich habe in den vergangenen Monaten gelernt zu kochen. Das Ganze entstand natürlich aus der Not heraus, weil ja die Restaurants bis Mitte Mai geschlossen blieben. Also musste ich selbst ran. Denn eine gesunde, ausgewogene Ernährung war schliesslich eines der erklärten Ziele von PlanDö (mehr dazu im Artikel Leben wie Robinson Crusoe – nur die Insel fehlt.). Aber was wirklich zählt und ich kaum je für möglich gehalten hätte: Kochen bereitet mir inzwischen tatsächlich Spass.

In den Herbstferien schliesslich habe ich mir meine Wohnung vorgeknöpft und ein ziemlich umfangreiches Umkrempelprojekt gestartet. Die Kurzfassung: ich habe mein düsteres Ankleidezimmer zu einem lichtdurchfluteten Wintergarten mit chilliger Lounge umgebaut. Auch Workouts sind dank der grossen Spiegelfront darin nun möglich. Ich könnte mir sogar ein Büro einrichten, wenn ich denn wollte. Ich kann in dem Zimmer nun eigentlich alles machen – ausser mich ankleiden (schmunzelt). Ich habe mit dem Projekt zusätzlichen Wohnraum geschaffen, was meine Zeit im Winter-Homeoffice massiv aufwertet und vermutlich will ich dann, wenn irgendwann wieder so etwas ähnliches wie das alte Leben zurückkehrt, gar nicht mehr raus (lacht). Ursprünglich dachte ich ja, das Projekt wäre nach der grossen „Umbau-Aktion“ im Herbst abgeschlossen. Aber dem ist nicht so, denn laufend kommen mir neue Ideen – es entwickelt sich allmählich zu einem „never ending project“! (lacht)

Während dem Sommer, drückte ich jeweils am helllichten Mittwochnachmittag die Schulbank – und zwar in Bariloche. Ja, du hast richtig gehört! Ich stand nach wie vor in Kontakt mit der Schulleiterin und da kristallisierte sich die Idee von Online-Lektionen heraus. In Argentinien galt zu der Zeit strikte Ausgangssperre. Die Plauderstunden per Skype waren da durchaus eine Win-Win-Situation. Und ich lernte nebenbei – also nebst dem, dass ich immer fliessender spanisch stotterte – viel über die Geschichte des Landes und des südamerikanischen Kontinents generell. Und wer sich mit der südamerikanischen Geschichte auseinandersetzt kommt nicht an der europäischen vorbei. Ich musste tatsächlich das eine oder andere europäische Kapitel auffrischen, um die Zusammenhänge bzw. Implikationen auf Südamerika zu verstehen oder zumindest besser einordnen zu können. Und wenn man mal weltgeschichtlich an einer Ecke eingetaucht ist, ist es schwierig wieder aufzutauchen und jedenfalls habe ich inzwischen auch einiges über andere Kontinente oder einzelne Länder vertieft – es ist fast schon eine Sucht.

Das klingt nach einem Vulkan an Ideen für den kreativen und intellektuellen Zeitvertreib. Der Stoff geht uns wohl so schnell nicht aus, das ist schön!

Hmmm…. nun, eine Frage beschäftigt mich schon seit einigen Tagen. Sie ist mir etwas unangenehm. Ich traue mich gar nicht richtig, sie zu stellen…

Na komm schon, raus damit!

(nimmt nochmals einen Schluck Brennesseltee)
Naja.. es geht um die Impfung. Ich meine: wir werden uns doch nicht etwa pieksen lassen?!

Ich dachte schon, du fragst nie! Doch, das werden wir, aber alles zu seiner Zeit. Jetzt sind erst mal die besonders schutzbedürftigen Personengruppen dran.

Du meinst damit den Bundesrat und die Zürcher Promis. (rollt diskret mit den Augen) Ernsthaft: warum sollten wir uns das antun? Ich meine, gegen die Grippe haben wir uns ja auch noch nie impfen lassen.

Das stimmt. Die Grippeimpfung stand noch niemals zur Debatte. Aber die Ausgangslage ist nun eine völlig andere. Während die Grippe-Impfung eine egoistische Entscheidung erträgt, baut die Impfung gegen Covid-19 auf eigenverantwortlichem Handeln und wird dadurch zu einer altruistisch geprägten Entscheidung – also einer Entscheidung zugunsten der Allgemeinheit, des grossen Ganzen. Es geht hier für einmal nicht nur um uns, verstehst du?! Der ganze Impf-Zirkus nutzt schliesslich erst dann etwas, wenn sich ein wesentlicher Teil der Bevölkerung impfen lässt. Dazu möchte ich meinen bescheidenen Teil beitragen.

Apropos „alkoholistisch“… (leckt sich mit der Zunge gierig über die Oberlippe) meinst du, wir könnten uns zur Feier des heutigen Neujahrstages…

Altruistisch. Ich sagte altruistisch!

Oh. Das muss dieser Alkoholentzug sein, mit dem du mich seit gefühlten Lichtjahren quälst.

Seit dem letzten Gläschen Malbec, drüben am chilligen Puerto Madero von Buenos Aires sind sage und schreibe zehn Monate und dreizehn Tage vergangen. Dabei war es ursprünglich ja nur der Plan gewesen, den traditionellen „Dry January“ aufgrund der Reise auf März zu verschieben. Aber dann war März und mit ihm nichts mehr wie früher und mein Verlangen nach Alkohol blieb komplett aus. Irgendwann wird die Lust auf ein Gläschen Rioja oder einen Aperol Spritz vielleicht wieder erwachen. Bis dahin geniesse ich dieses neue Lebensgefühl. Es bekommt mir verdammt gut.

Vielleicht würde ich der Impfung ja gelassener gegenüberstehen mit einem Schlückchen Rioja intus, nur einem ganz kleinen?

NEIN! (boxt energisch in eines der feuerroten Couch-Kissen)

Gerade als leidenschaftliche Weltenbummler steht es uns verdammt nochmal nicht zu, ein Theater in dieser für die Welt zentralen Impffrage zu veranstalten. Zu oft liessen wir uns in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren am Tropeninstitut beraten und schluckten daraufhin die eine oder andere Pille. Und seien wir ehrlich: einige davon ohne ernsthaft mit der Wimper zu zucken.

Trotzdem wird die Covid-Impfung gerade äusserst kontrovers diskutiert. Andere vertreten doch auch egoistische Haltungen, warum wir nicht?

Ich kann nur unser eigenes Tun und Denken steuern. Ich fände es ja schon ein vielversprechender Anfang, wenn „andere“ sich konsequenterweise über die Zutatenlisten und möglichen Langzeitfolgen von Energydrinks, Zigaretten und anderen Pfuiteufeleien mindestens genauso viele Gedanken machen würden, wie um den Inhalt einer Impfampulle zu Bekämpfung einer Jahrhundert-Pandemie.

Du scheinst in dieser Sache entschlossen, da muss ich, im Sinne des Kollegialitätsprinzips, wohl mitziehen. Aber wie du schon sagtest: es bleibt uns ja noch etwas Zeit bis dahin…

Themawechsel! Ich weiss ja nicht, wie es dir ergeht, aber bei mir kommt so langsam aber sicher Hunger auf (reibt sich mit der flachen Hand über den Bauch). Wollen wir uns was Leckeres kochen?

Das ist eine ganz wundervolle Idee! (schnippt Wickie-Style mit den Fingern in die Luft) 👩‍🍳

Na dann: herzlichen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch an diesem erten Tag des Jahres 2021, dem Jahr, in dem alles besser werden wird! (schmunzelt)

Ich hab zu danken. Danke für deine Offenheit und deine Inspiration. Schön, dass es dich gibt, mein lieber Schweinehund! (formt mit Daumen und Zeigefingern ein Herz in die Luft)

*Ich nenne meinen inneren Schweinehund liebevoll „Günnter“. Immer wenn er ins Spiel kommt, lautet die Gretchenfrage: Günnter (schweizerdeutsch für „gewinnt er?“) oder „Günnter nöd?“ (gewinnt er nicht?)

Verwandte Artikel

Das exklusive Interview zum Jahreswechsel 2019/2020 – von und mit Doedel

Leben wie Robinson Crusoe – nur die Insel fehlt (Erfahrungsbericht aus der Quarantäne).

Leben wie Robinson Crusoe – nur die Insel fehlt.

Ich habe die ersten zwei Monate des Jahres 2020 im südlichen Argentinien, in Patagonien, verbracht und habe während dieser Zeit viel über den argentinischen Alltag gelernt. Einkaufen in Patagonien fühlte sich an wie Advent: man wusste nie, was sich am nächsten Tag hinter dem (Supermarkt-)Türchen verbergen mochte. An die halbleeren Supermarktregale musste ich mich zuerst gewöhnen. Aber auch in anderen Situationen galt es in Argentinien flexibel, pragmatisch und geduldig zu bleiben – etwa an der Bushaltestelle, am Bancomaten oder in der Schlange vor der Supermarktkasse.
Ich bin nun seit genau einem Monat zurück in der Schweiz und stelle fest: same, same but different. Auch hier waren die Supermarktregale in den letzten Tagen nicht zu jedem Zeitpunkt prall gefüllt, auch hier haben sich Bus- und Zugfahrpläne geändert und jedenfalls hat meine Auszeit am «Ende der Welt» in der Nachbetrachtung den Charakter eines Feldtests erlangt.

Ich fühle mich in diesen Tagen zugegeben etwas hilflos. Ausserstande irgendetwas gegen das, was da unaufhaltsam auf uns zurollt ausrichten zu können, hocke ich in meinem improvisierten HomeOffice und überlege, wie ich die nächsten Wochen oder Monate über die Runden kommen werde und welchen Beitrag ich selbst in dieser misslichen Lage leisten kann. Ich habe keinen medizinischen Hintergrund. Kann ich überhaupt etwas beitragen? Ich habe diese Frage mit Günnter*, meinem inneren Schweinehund, diskutiert.   

Günnter: Einen wunderschönen guten Sonntagmorgen, meine Liebe. Heute scheint ein trüber Tag zu werden. Wir könnten mal wieder auf der Couch abhängen?   

Doedel: Guten Morgen, mein lieber Schweinehund. Gute Idee, genau das werden wir heute wohl tun. Wir bleiben zuhause. So, wie wir auch morgen und übermorgen und generell die nächsten Tage und Wochen zuhause bleiben werden.

Nanu?! Wie kommt es zu dieser langfristigen Prognose? 

Wir stehen unter Corona-Quarantäne. #staythefuckhome lautet der vom Bundesrat unmissverständliche Appell an die Schweizer Bevölkerung. Natürlich hat er das netter formuliert, aber inhaltlich ändert sich nichts daran. Wer nicht unbedingt raus muss, bleibt gefälligst zuhause, wäscht sich die Hände regelmässig und hält mindestens zwei Meter Abstand zu Menschen, welche nicht im gleichen Haushalt leben. Hazel Brugger hat es neulich in einem ihrer Tweets wunderbar treffend auf den Punkt gebracht:

Stell dir vor, draussen ist Corona aber niemand geht hin.
(@hazelbrugger)

Die behördlich verordnete Quarantäne gilt vorerst bis zum 19. April. Bis dahin harrt jeder auf seiner Insel aus.

Sind wir zurzeit nicht alle ein bisschen Robinson Crusoe?

Klingt krass. Wird uns da – auf unserer „einsamen Insel“ – nicht irgendwann die Decke auf den Kopf fallen? 

Genau dies gilt es tunlichst zu vermeiden! Aber dazu später.

Als bekennende Minimalistin sind Stichworte wie Verzicht und Loslassen grundsätzlich keine Fremdwörter für mich. Ich bin ein kinderloser Single und bin es gewohnt, einen beachtlichen Teil meiner Zeit alleine zu verbringen. In der aktuellen Situation habe ich mit dieser Vorgeschichte möglicherweise eine begünstigte Ausgangslage. Trotzdem stand und stehe auch ich in diesen Tagen vor neuen Herausforderungen rund um die Bewältigung meines Alltags. Mittlerweile habe ich immerhin einen Plan zur Hand – den sogenannten PlanDö (Anmerkung der Redaktion: das „Dö“ steht für „Doedel“).

Einen Plan zu haben klingt doch schon mal vielversprechend?! Welches Hauptziel verfolgt dieser Plan?

Nun, das Wesentliche was ich, was jeder einzelne von uns – nebst der strikten Einhaltung der Hygienevorschriften – zur allgemeinen Lage beitragen kann, ist zu sich selbst Sorge zu tragen. Ich empfinde es in dieser verzwickten Lage tatsächlich als meine persönliche Pflicht und Verantwortung, mit all meinen Kräften dafür zu sorgen, nicht selbst zum Problem zu werden – weder für mich, noch für mein unmittelbares Umfeld und am allerwenigsten für unser Land mit seinen ausreichend strapazierten Ressourcen. Selbst gesund und fit zu bleiben ist daher das deklarierte Ziel von PlanDö! Ich habe die wichtigsten Eckpunkte in einer Art „Pflichtenheft“ für mich festgehalten.  

Was genau muss ich mir unter diesem Pflichtenheft vorstellen?

Ich zitiere an dieser stelle den entsprechenden Eintrag aus Wikipedia – pass auf!

„Das Pflichtenheft beschreibt in konkreter Form, wie der Auftragnehmer die Anforderungen des Auftraggebers zu lösen gedenkt. […]“

Verstehe. Und wer ist in unserem Fall nun der Auftragnehmer?

Na wir selbst, wer denn sonst?!

Okay… hmmm, und wer fungiert denn dann in der Rolle des Auftraggebers?

Auch wir! Herrje, bitte tue mir den Gefallen und denke mal ein bisschen mit! Es liegt doch sowas von auf der Hand, dass die beiden Rollen in Personalunion besetzt werden müssen – es ist ja sonst keiner da! (boxt energisch auf eines der drei feuerroten Couch-Kissen)

Huch… ähm… ja klar, ich versuche es, also mitzudenken, versprochen! (blickt verlegen vor sich hin)

Na los: beweise mit deiner nächsten Frage, dass du ein cleveres Bürschchen bist!

(Wischt sich den Schweiss von der Stirn, wäscht sich danach gründlich die Hände und kehrt schliesslich auf seinen Platz zurück)

(Räuspert) Nun, was sind die wesentlichen Eckpunkte deines… äh… unseres Pflichtenhefts? 

Voilà, geht doch! Vielen Dank für diese äusserst intelligente nächste Frage! (streckt den rechten Daumen aus der geballten Faust Richtung Decke)

(purzelt vor Erleichterung schier vom Hocker) 

Die Eckpunkte des Pflichtenhefts sind: eine gesunde Ernährung, tägliche Workouts, eine klare Tagesstruktur. Darüber hinaus möchte ich für meine Liebsten aber auch für Freunde und Kollegen da sein, wenn sie mich brauchen.

Was genau verstehst du unter einer „gesunden Ernährung“?

Ich ernähre mich auch ausserhalb von Mega-Krisen grundsätzlich gesund. In der aktuellen Situation und mit dem erklärten Ziel von PlanDö, selbst glimpflich durch diese Krise zu kommen, wird eine gesunde, ausgewogene Ernährung jedoch noch ein Spürchen wichtiger.
Ich nehme täglich drei Mahlzeiten zu mir. Zum Frühstück mag ich mein traditionelles Porridge aus Haferflocken, Pflanzenmilch und einer Portion frischen Früchten, dazu einen Kaffee. Mittag- und Abendessen bestehen aus einer zünftigen Portion Gemüse – nach Möglichkeit frisch zubereitet, dazu eine Eiweisskomponente nach Wahl – also Käse, Eier, Fisch, Hülsenfrüchte, ab und zu ein Stück Fleisch.
Ich trinke täglich 2-3 Liter Ingwerwasser. Für einen zusätzlichen Vitamin-C-Kick füge ich den ersten beiden Portionen den Saft einer frisch gepressten Zitrone hinzu. Hihi… eine kleine Anekdote am Rande: einmal habe ich den Zitronensaft irrtümlich anstatt ins Ingwerwasser in den Kaffee geschüttet. Das war vielleicht ein Muntermacher, ey! (lacht und klopft sich dabei mit der flachen Hand auf den Schenkel)
Last but not least verzichte ich zurzeit auf Alkohol. Dies primär weil Alkohol für mich nicht sonderlich förderlich ist, um einen klaren Kopf zu bewahren. Und den brauche ich aktuell mehr denn je, also den klaren Kopf, meine ich.

Wow – ich muss zugeben: bis hierhin gefällt mir dieser Plan. Und er scheint einfach umsetzbar zu sein. Die Anforderung nach täglichen Workouts erscheint mir unter Quarantäne dagegen wesentlich kniffliger? 

Das ist tatsächlich so. Aber auch dafür gibt es pragmatische Ideen. Das Treppenhaus wird sich schon wundern, weshalb ich die fünf Stockwerke derzeit immer mal wieder mehrmals hintereinander hoch und runterklettere. (schmunzelt)

Funktionales Training, also Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, lässt sich gut im Wohnzimmer praktizieren. Insbesondere die Rücken- und Rumpf-Muskulatur gilt es gezielt zu stärken. Mein improvisiertes Homeoffice an der Küchenbar ist zwar chic, fällt aber ergonomisch hochgradig durch. Jedenfalls erscheint es mir sinnvoll zu sein, den unvermeidbaren Fehlhaltungen mit ein paar gezielten Moves präventiv entgegenzuwirken.

Virtuelle Workouts auf Youtube haben gerade Hochkonjunktur. Selbst habe ich das bisher jedoch noch nicht ausprobiert. Ich bin froh, zwischendurch mal etwas ohne Bildschirm zu unternehmen. Es ist aber gut, über das Angebot Bescheid zu wissen, um bei Bedarf Abwechslung in den Workout-Alltag zu bringen.

Ein Lichtblick am Horizont: in den nächsten Tagen sollte mein faltbares Home-Bike angeliefert werden. Ich hatte es letzte Woche, als sich die Lage absehbar zuspitzte, kurzerhand in einem Schweizer Online-Store bestellt.

Das ist ja ein bunter Blumenstrauss an kreativen Ideen, ich bin beeindruckt! Und was hat es mit der klaren Tagesstruktur auf sich, die du im Pflichtenheft besonders hervorhebst?

Eine gesunde WorkLife-Balance aufrecht zu erhalten erscheint mir gerade mit der eingeschränkten Bewegungsfreiheit ein zentrales Element zu sein. Ich versuche, meine übliche Tagesstruktur so gut wie möglich aufrecht zu erhalten.

Ich stehe morgens zur gewohnten Zeit auf und nehme mir als erstes ca. 10 Minuten Zeit für einen gründlichen „Bodycheck“. Ich konzentriere mich dabei mit geschlossenen Augen auf meinen Atem und klappere sodann gedanklich jeden Winkel meines Körpers ab. Durch diesen systematischen Check glaube ich, allfällige Alarmzeichen meines Körpers oder meiner Seele frühzeitig zu erkennen und gezielt bearbeiten zu können. Der Bodycheck funktioniert bei mir am allerbesten mit leerem, frischen Kopf, deshalb nehme ich mir direkt nach dem Aufstehen bewusst Zeit dafür. Anschliessend geht’s ab unter die Dusche.

Als Frühstücksunterhaltung mag ich Hörbücher. Aktuell höre ich die Biographie von Alexander Humboldt – die ist übrigens sehr spannend, ich kann sie nur empfehlen. Hörbuch hören hat einen günstigen Nebeneffekt: Ich trainiere damit gleichzeitig aufmerksam zuzuhören und aufmerksames Zuhören erscheint mir eine wertvolle, durchaus systemrelevante Kompetenz zu sein – nicht nur in der Krise.

Aber zurück zum Tagesablauf.

Nach dem Frühstück baue ich meine Küchenbar – es ist der einzige Tisch, den ich habe – von der Frühstückstafel zum Homeoffice um. Dazu stelle ich den Bildschirm, den ich mir von meinem eigentlichen Arbeitsplatz ausgeliehen habe, auf die Tischplatte, verbinde meinen Laptop damit, krame Bluetooth-Tastatur und -Maus hervor und schon bin ich einsatzbereit. Da ich einem Team mit flexiblen Arbeitsplatz-Zonen angehöre, ändert sich ausser der Umgebung eigentlich nicht viel an der gewohnten Arbeitsplatzsituation. Meetings finden per Videokonferenz statt. Das ist an sich nichts grundlegend Neues und funktioniert soweit ganz gut.

Nach ungefähr 4 Stunden knurrt mein Magen und ich bereite mir mein Mittagessen zu. Bei schönem Wetter setze ich mich zum Essen auf meine Terrasse. Bei schlechtem Wetter, baue ich mein Homeoffice ab und rüste die Küchenbar zur Lunch-Tafel um.

Moment… könntest du nicht einfach Bildschirm und den ganzen Büro-Kram zur Seite schieben? Der Tisch ist doch gross genug?!

Es sind psychologische Gründe, die mich zu diesem Mehraufwand bringen. Ich mag nicht vor dem PC essen. Ich bin tatsächlich zu vielen Veränderungen bereit, aber dazu nicht. 

Verstehe. Und nach dem Lunch baust du alles wieder um und arbeitest dort weiter, wo du vor der Mittagspause stehengeblieben bist?

Jein. Ich nutze die Mittagspause um gezielt relevante News abzurufen. Dazu nutze ich aktuell ein paar wenige, sorgfältig ausgewählte Informationskanäle. Ich brauche Fakten. Das wirre Durcheinander und Gebrüll auf den sozialen Medien raubt mir unnötig viel Energie, die mir andernorts dann womöglich fehlt. Auch hier gilt für mich: weniger ist mehr.
Anschliessend knöpfe ich mir das Treppenhaus vor (schmunzelt) oder mache ein paar Dehnübungen auf der Yogamatte. Und dann, erst dann geht es zurück an die Arbeit.

(hustet kurz in die Armbeuge)

Zu einer gesunden WorkLife-Balance gehört auch der Feierabend. In der Regel irgendwann nach 18 Uhr fahre ich meinen Computer herunter und baue mein Homeoffice ab. Je nach Lust und Laune gibt es vor oder nach dem Abendessen ein kleines Workout. Danach ziehe ich mich mit einem Buch auf meine Couch zurück. Oder ich schreibe. Oder ich schaue eine Episode meiner aktuellen Netflix-Serie – auf spanisch. (klopft sich selbstbewusst auf die Schulter).

Ich habe den Eindruck, um dich bzw. um uns muss ich mir vorerst keine Sorgen machen. Stimmt diese Annahme?

So ist es. Keine Panik auf der Titanic!

Das beruhigt mich ausserordentlich! Magst du abschliessend noch etwas zur allgemeinen Lage loswerden?

Lasst uns, wie Robinson Crusoe, geduldig und hoffnungsvoll auf Freitag warten. Es werden bessere Zeiten folgen, davon bin ich überzeugt.

Herzlichen Dank, liebste Doedel, für dieses klärende Interview und weiterhin einen erholsamen Sonntag auf der Couch. 

Ich habe zu danken, mein lieber Schweinehund. Wir sollten uns öfter Zeit für einander nehmen – hab dich lieb! (formt mit Daumen und Zeigefingern ein Herz in die Luft)

*Ich nenne meinen inneren Schweinehund liebevoll „Günnter“. Immer wenn er ins Spiel kommt, lautet die Gretchenfrage: Günnter (schweizerdeutsch für „gewinnt er?“) oder „Günnter nöd?“ (gewinnt er nicht?)

Das exklusive Interview zum Jahreswechsel – von und mit Doedel

Zum neuen Jahr gibt es hier ein exklusives Interview mit Doedel. Durchs Interview führt niemand Geringeres als Günnter*, Doedels innerer Schweinehund. Viel Spass bei der Lektüre.

Günnter: Mir fällt auf, dass, seit wir am ersten Weihnachtstag von zu Hause losgezogen sind, ein  Dauerlächeln auf deinen Lippen spielt. Wie kommt das?

Doedel: Es gibt keinen Grund, es nicht zu tun. (lächelt)


Pah! Das sagst du ausgerechnet nachdem wir heute Morgen mal wieder wie von der Tarantel gestochen durch die halbe Stadt gehetzt sind, um einen Adapter für den Laptop zu besorgen?!?!! Die Geschichte wiederholte sich. Du erinnerst dich? Damals, drüben in Afrika?

Ich weiss worauf du anspielst und ich gebe zu, dass ich in dieser Sache nachlässig war. Ich erinnere mich, wie ich damals auf dem unvergesslichen Roadtrip durch Südafrika jeweils einen regelrechten Stecker-Turm aus diversen Steckern basteln musste, um mal eben husch mein Notebook aufzutanken. Das war Improvisation vom Feinsten und ich hatte mir fest vorgenommen, mir sofort nach der Rückkehr aus Afrika einen dreipoligen Adapter für meinen Laptop zu besorgen und wie soll ich sagen, zurück in der Zivilisation ist das dann irgendwie untergegangen.
Aber hey! Heute ist ja alles gut ausgegangen. Wir haben den Adapter und der Laptop ist vollgetankt – sonst könnten wir jetzt ja hier nicht auf der Terrasse sitzen und diesen Beitrag tippsen (lacht).
Apropos Südafrika: wusstest du, dass sich Kapstadt und Buenos Aires auf gleicher Höhe befinden? Ich meine Breitengrad technisch? Schon eindrücklich. Während der afrikanische Kontinent bei Kapstadt quasi aufhört, gehts hier in Südamerika erst so richtig los – verrückt, findest du nicht?


Du weichst vom Thema ab. Für mich, deinem inneren Schweinehund, war die Adapter-Geschichte heute Morgen ein Spürchen zuviel Adrenalin auf nüchternen Magen.

Das tut mir aufrichtig leid! Immerhin hatte der flotte Chico im ersten Laden direkt den goldenen Tipp für uns bereit und schickte uns zur flotten Chica ums Eck, welche in Sekundenschnelle ein flottes Dreikönigs- äh Dreipolstück aus der Schublade zückte.
Da fällt mir ein: kommenden Montag feiern wir heilige drei Könige. Was meinst du, wollen wir uns da – zur Feier des Tages, quasi – ein spezielles Abenteuer gönnen? Ich meine: nur wir beide, du und ich? (klimpert mit der Wimper)


Ich erinnere dich daran, dass wir am Montag unseren patagonischen Studenten-Alltag starten werden und um 9 Uhr unseren Einstufungstest schreiben. Mein Bedarf an Abenteuer wird damit gedeckt sein. Aber danke, dass du fragst. Ich werde hier ja nicht immer nach meinem Grad an Abenteuerlust gefragt (räuspert)  was uns zum Thema zurückbringt. Ich verstehe immer noch nicht, warum wir all diese Strapazen auf uns genommen haben: den langen Flug, das stundenlange Anstehen an der Passkontrolle am Flughafen in Buenos Aires, das ganze Tohuwabohu, um hier an Geld und vernünftige Lebensmittel zu kommen, …
Zuhause hätten wir zwischen den Jahren bequem auf der Couch abhängen können.

Du vergisst, dass zu Hause gerade jemand anderes auf unserer Couch abhängt. Da haben wir es hier in unserem kleinen, aber feinen Apartment doch wesentlich gemütlicher (zwinkert keck mit dem Auge, also mit dem linken, weil es mit dem rechten partout nicht gelingen will…).


Herrje, dieses Untervermiet-Projekt ist auch so ein durchgeknallter Furz jenseits der Komfortzone!

Dieser durchgeknallte Furz ermöglicht uns ein Leben in höchstmöglicher Unabhängigkeit. Es ist doch toll, dass während wir hier die unendlich langen Tage des patagonischen Sommers geniessen, ein erheblicher Teil unserer Fixkosten Zuhause gedeckt wird.


Ich weiss nicht. Mich befremdet der Gedanke, dass eben während wir hier die unendlich langen Tage des patagonischen Sommers „geniessen“, um es in deinen Worten auszudrücken, eine fremde Person in unserem Bett liegt und womöglich gerade Kaffee über die schicke Couch schüttet. 
Ich verstehe dein Hadern. Noch vor ein paar Jahren hätte ich mir das auch nicht vorstellen können.


Woher der Sinneswandel?
Ich habe mich in den letzten Jahren intensiv mit der Frage, wie ich mein Leben generell und insbesondere die aktuellen wohl knackigsten Jahre leben möchte, auseinandergesetzt. Im Zentrum stand dabei die Frage, was mein ICH in 30 Jahren rückblickend meinem heutigen ICH raten würde zu tun oder eben nicht zu tun.**


Das klingt selbst für innere Schweinehunde wie mich interessant. Erzähle mehr darüber. 
Bist du sicher, dass du das hören möchtest?


Ja, scheiss los… schiess… ich meinte schiess los!
Na gut. Aber jammere nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt! (grinst)
Pass auf. Es startete mit meinem kompletten Neuanfang vor inzwischen acht Jahren. Es fühlte sich an, als ob einer aus Versehen statt der Pause-Taste den Reset-Knopf meines Lebens erwischt hatte und jedenfalls schlief ich damals monatelang auf einer Luftmatratze und redete mir die Yogamatte bequem und kuschelig wie eine Couch. Es war die Zeit, in der mir klar wurde, dass weniger mehr sein kann. Seither überlege ich mir sehr behutsam, was mich glücklich macht. Es ist eine kurze Liste. Ich führe einen minimalistischen Lebensstil.


Das erklärt noch nicht, weshalb wir unsere tolle Wohnung nun schon zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren wildfremden Menschen überlassen.

Im Verlaufe des Prozesses zur Klärung der Sinn-Frage wurde immer deutlicher, dass ich ein ausgeprägtes Autonomie-Bedürfnis habe. Ich denke, ein beachtlicher Teil davon ist angeboren, der andere Teil ist im Verlaufe der Zeit klammheimlich in mir herangereift. Der Schlüssel zu einem möglichst hohen Grad an Unabhängigkeit liegt im Loslassen. Mir ist bewusst geworden, dass ich mir mit Gedanken an Kaffeeflecken auf meiner Couch nur selbst im Weg stand. Inzwischen habe ich meinen Haushalt auf ein modulares Kistenmodell umgestellt, um meine persönlichen Habseligkeiten mit wenig Aufwand sicher wegschliessen zu können. Für Bett und Couch habe ich mir spezielle Schutzbezüge, sogenannte Hussen, besorgt.
Was man bei der ganzen Geschichte nicht vergessen darf ist, dass wir bei unserer Rückkehr ja selbst wochenlang in fremden Sachen gehaust und dabei eine gewisse Resistenz gegenüber Spuren und Gerüchen fremder Menschen entwickelt haben werden. (zwinkert)


Verstehe. Themawechsel. Du hast mir heute Morgen beim Zähneputzen zugemurmelt, dass wir ab nächster Woche Teilzeit arbeiten werden? Du meintest damit eigentlich die Schulbank drücken, korrekt? 

Nein, d.h. naja… genaugenommen heisst es beides.


Stopp! Ich weiss tatsächlich nicht, wieviel genauer ich das wissen möchte…

Ach komm schon, sei kein Frosch. Hihi… innerer Schweinefrosch… hihihihi… (klopft sich mit der rechten Hand mehrmals auf den rechten Schenkel)


Mir ist nicht nach Scherzen zumute!

¡Disculpa! Ich meine: äxgüsi… wie war nochmals die Frage? Achso, ja… bezüglich der Arbeit (verkneift sich sichtlich ein erneutes Kichern). Also die Sache ist die, dass ich eines meiner aktuellen Projekte von hier aus weiter betreuen werde. Bämm! Na, was sagst du dazu?


Ich dreh‘ gleich durch, ey! Hätte da nicht jemand anderes einspringen können, sodass mir wenigstens das erspart geblieben wäre?

Eben nicht! Die Idee nach dieser Auszeit hier in Patagonien entstand im Juni vergangenen Jahres. Ich hatte mich spontan auf ein dreimonatiges Praktikum in einer kleinen Pension drüben im chilenischen Seengebiet beworben und prompt eine  Zusage erhalten. Einige Wochen später scheiterte das Projekt dann aber leider. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich mich schon voll auf ein südamerikanisches Abenteuer eingestellt und meine Enttäuschung liess sich nicht abstreiten. Ich überlegte mir also, ob ich mich gegebenenfalls neu arrangieren konnte und da rückte bald die Idee eines Sprachaufenthalts in Kombination mit einer gesunden Portion Bewegung an der frischen Luft im Outdoor-Mekka rund um Bariloche/Patagonien in den Vordergrund. Ich sicherte mich kurz ab, was wohl mein ICH in 30 Jahren zu der Idee meines heutigen ICHs sagen würde und zack, war die Sache für mich klar wie der Himmel hier über Patagonien in diesen wundervollen Sommertagen. Allerdings hatte ich im Job inzwischen zu einem grösseren Projekt zugesagt. Also suchte ich das Gespräch mit meinem Chef. Scheu wie ein Reh erzählte ich ihm von meiner Idee, im patagonischen Sommer zu überwintern. Er meinte nur:“Was soll ich mit einer Idee? Komm wieder, wenn du einen konkreten Plan hast und dann schauen wir, was sich da machen lässt.“ Das liess ich mir nicht zweimal sagen und unterbreitete ihm einige Tage später meinen konkreten Überwinterungsplan – einer kunterbunten Mischung aus Sprachaufenthalt, viel Bewegung an der frischen Luft und spannenster Projektarbeit. Et voilà.


Da hast du Glück mit deinem Arbeitgeber. Das könnte sich natürlich nicht jeder erlauben.

Ersteres streite ich nicht ab: das ist Tatsache und mein Chef ist ein wahrer „Enabler“ und  ein Goldschatz noch dazu! Zweiteres kommt mir regelmässig zu Ohren. „Was, du haust schon wieder ab? Das würde ich auch gerne machen, aber das kann ich mir in meiner Position, bei meinem Chef, bei der aktuellen Wirtschaftslage, blablabla nicht erlauben. Die Aufzählung kann mit beliebigen Schiess-mich-tot-Ausreden erweitert werden.“ Auf meine Frage ob das Thema denn schon mal konkret diskutiert wurde, folgt dann höchstens noch ein „naja… ich weiss halt, dass ich damit nicht durchkommen würde. Niemals!“
Ich frage mich dann jeweils, ob die sich eigentlich schon mal mit ihrem ICH von in 30 Jahren auseinandergesetzt haben… (blickt nachdenklich vor sich hin) Ich meine, es ist mir schon klar, dass nicht alle mit den idealen Rahmenbedingungen für solche Luxus-Projekte gesegnet sind. Aber bei der „Was-ist-in-30 Jahren“-Perspektive geht es ja darum, das Optimum aus den aktuellen Umständen herauszuholen – also ein erfüllendes Leben zu leben, wie es einem in der persönlichen Situation eben möglich ist.


Irgendwann werde ich vielleicht auch Gefallen an diesem Affentheater finden können – man soll schliesslich niemals nie sagen. Für heute weiss ich genug. Und was morgen auf uns zukommt, wirst du mir bestimmt noch zum passenden Zeitpunkt mitteilen, KORREKT?!

Na klar. Ehrensache! (kichert heimlich ins Fäustchen)


Herzlichen Dank für dieses Interview und alles Gute fürs neue Jahr!

¡Feliz año! Frohes neues Jahr, mein lieber Schweinehund.
Schön, dass es dich gibt! (formt mit Daumen und Zeigefingern ein Herz in die Luft)


Das Interview führte: Günnter*, mein innerer Schweinehund

*Ich nenne meinen inneren Schweinehund liebevoll „Günnter“. Immer wenn er ins Spiel kommt, lautet die Gretchenfrage: Günnter (schweizerdeutsch für „gewinnt er?“) oder „Günnter nöd?“ (gewinnt er nicht?)

** Die „Was-ist-in-30Jahren“-Perspektive nach John Strelecky. Mehr dazu gibts im Artikel Safari zu den «BIG FIVE FOR LIFE»

Is that real? Yes, that Israel! (Teil 1)

Früher oder später prasseln sie wohl auf jeden von uns ein, die skurrilen Geschichten über bizarre Konstellationen im Nahen Osten – allen voran Israel und Palästina. In mir stauten sich über die Jahre etliche „Wieso-Weshalb-Warum“-Fragen an und ich erhoffte mir von einem Augenschein vor Ort Antworten auf einige dieser Fragen. Soviel vorweg: ich habe nach meiner Rückkehr aus „The Holy Land“ tatsächlich mehr Fragen, wenn auch auf anderem Niveau.

In einer 8-tägigen Rundreise besuchte ich zusammen mit sieben wundervollen Menschen die wichtigsten Hotspots. Klar, acht Tage sind kurz, aber man schafft es in dieser Zeit locker einmal rundherum. So gross die beiden Länder auf der weltpolitischen Bühne wirken, so klein sind sie rein geographisch betrachtet: Israel und Palästina sind selbst zusammengenommen mit ihren knapp 30’000 Quadratkilometern wesentlich kleiner als die Schweiz. (Genau so habe ich auch geguckt)

Unsere multikulturelle Reisegruppe setzte sich zusammen aus drei Australiern, einer in Australien lebenden Inderin, einer in London lebenden Inderin, einer in London lebenden Singapurerin, einer Amerikanerin mit immerhin deutschen Wurzeln und mir. Zwischen uns allen funkte es auf Anhieb. Ich selbst brauchte einen Moment, bis ich mich sprachlich in der Gruppe eingefunden hatte: die unterschiedlichen Dialekte forderten mich in den ersten Stunden ganz schön heraus und der Tourguide trug mit seinem eigenartigen Akzent seinen Teil dazu bei.

Foto 10.09.19, 15 23 43
Meine Trip-Gspänli mitten in der Wüste Negev. Das war ja vielleicht eine verrückte Bande, ey! ❤

An- und Einreise

Das Abenteuer nahm bereits auf dem Flug von Zürich nach Tel Aviv seinen Lauf.  Ich hatte meinen Sitzplatz auf 31C eingenommen und beobachtete wie sich schräg vor mir – auf 30B – ein orthodoxer Jude einrichtete. Es war ein grossgewachsener Mann von korpulenter Statur. Der dicke, schwarze Mantel und der grosse ebenfalls schwarze Hut waren definitiv nicht das perfekte Outfit für die eingeschränkten Platzverhältnisse der Economy-Class. Die weissen Haarlocken baumelten lustig an seinen Schläfen, als ihn ein junger Schweizer darauf aufmerksam machte, dass 30B sein Sitzplatz wäre. Sichtlich nervös kramte der Jude seine Bordkarte aus seiner Westentasche hervor. Tatsächlich! 29B, stand darauf. Der Schweizer reagierte zum Glück sofort und bot an, sich selbst einfach auf 29B niederzulassen. Damit war die Sache erledigt. Zumindest fürs Erste. Bis zur Verteilung des Lunch. Was für eine Aufregung, als dem Juden das Standard-Menu und dem Schweizer die Koscher-Mahlzeit serviert wurde. Und natürlich erinnerten sich die beiden nicht mehr an die Platzwechsel-Szene, weshalb ich mich einmischte und die Verwirrung aufklären konnte. *Bittegern!*

Die Einreise brauche etwas Geduld, las ich in verschiedenen Quellen. Als ich die Passkontrolle erreichte, stellte ich fest, dass lediglich jeweils sieben oder acht Personen in den Reihen vor den Schaltern standen – das konnte ja wohl nicht so schlimm sein!? Als ich jedoch eine Viertelstunde später noch keinen Schritt weiter vorangekommen war, wurde ich skeptisch. Tatsächlich wird hier jede einreisende Person ausführlich interviewt. Auch ich!
Ob dies meine erste Reise nach Israel sei, wollte der Beamte als erstes von mir wissen. Nachdem ich die Frage bejaht hatte, folgten weitere Fragen. Was ich hier genau vor hätte? Wo ich mich aufhalten werde? Ob ich in Israel jemanden kennen würde? Welcher Religion ich angehörte? Ob ich hebräisch spräche?
Ich fühlte mich in ein mündliches Prüfungsszenario meiner Schulzeit zurückversetzt. Es waren einfache Fragen, trotzdem schwang bei jeder Antwort die ich gab eine leise Unsicherheit mit. Die Frage, ob ich in Israel jemanden kennen würde, beantwortete ich beispielsweise spontan und wahrheitsgetreu mit „Nein“, schob aber sofort ein „noch nicht, aber mein Tourguide, der wartet draussen auf mich…“ nach. Das stimmte zwar nicht, klang aber einigermassen plausibel, für den Fall, dass ein reines „Nein“ nicht die optimale Antwort auf die Frage gewesen wäre.
Dass man bei der Religionsfrage die Antwort „Atheist“ vermeiden sollte, hatte ich zum Glück bereits in meiner vorbereitenden Lektüre aufgeschnappt. Die Existenz Gottes zu bezweifeln, stösst in einem Land, in dem die drei monotheistischen Weltreligionen – das Christentum, das Judentum und der Islam – aufeinandertreffen auf wenig kein Verständnis. So leicht komme man aus der darauffolgenden Diskussion jedenfalls nicht raus. Diesen Disput wollte ich mir mit einer kleinen Notlüge ersparen.

Für den Transfer vom Flughafen zum Hotel Melody, von wo aus am nächsten Tag die gebuchte Tour startete, nahm ich mir ein Taxi.
Regel Nummer 1, wenn man sich in einem unbekannten Land ein Taxi nimmt: man verhandelt den Preis im Voraus! Das tat ich mustergültig und die quirlige Hostesse, die mir Taxi Nr. 4 zuwies, drückte mir einen Zettel mit den Konditionen in die Hand. Darauf stand, dass die Fahrt vom Flughafen nach Downtown Tel Aviv pauschal 143 Schekel (ca. 40 CHF) kostete. Das klang fair und ich hatte darauf nur noch eine weitere Frage an die Hostesse:“Kennt der Fahrer diese Bestimmungen auch?“ Freundlich wies sie mich auf die hebräische Übersetzung des relevanten Passus hin. „Alles klar“, bedankte ich mich und konzentrierte mich nun darauf, in denjenigen Wagen des Taxi-Konvois einzusteigen, in den meine Tasche eingeladen wurde…

Da ich – wie weiter oben bereits implizit geoutet – kein hebräisch und der Taxifahrer kein englisch sprach, verlief die rund 45 minütige Fahrt schweigend und unspektakulär. Als ich später an dem Abend von einem meiner Tourgspänli erfuhr, dass sie einfach ins Taxi gestiegen und am Ende satte 400 Schekel hinblättern musste, war ich froh um meine Penibilität. Oder um meine Reiseerfahrenheit. Oder um beides. Herrje!

Tel Aviv

In das Boutique-Hotel Melody hatte ich mich auf der Stelle verliebt. Gleich nach meiner Ankunft und dem Bezug meines wirklich schicken Meerblick-Zimmers, verschaffte ich mir von der Dachterrasse im achten Stock einen Überblick.

Man konnte von hier oben sogar die Schweiz sehen, hach!

Foto 05.09.19, 16 09 06
Blick von der Dachterrasse des Hotels Melody auf die Schweizer Botschaft in Tel Aviv.

Um 18.00 Uhr besammelte sich unsere Reisegruppe in der Lobby zum Kickoff der bevorstehenden Tour. Khader, der Tourguide gab uns einige Eckpunkte zur Tour und zu den unmittelbar vor uns liegenden Stunden bekannt. Er lud uns ein, ihn zu einem Sundowner-Spaziergang zum alten Hafen von Tel Aviv zu begleiten. Wir konnten das Angebot natürlich nicht ausschlagen.

Foto 05.09.19, 18 11 28
Am Hafen von Tel Aviv, bzw. Te-LOVE-iv

Kurz bevor wir auf dem Rückweg die Uferpromenade Richtung Melody-Hotel hätten verlassen müssen, ergriff ich die Initiative und vermeldete, dass ich unbedingt noch meinen ersten Falafel futtern wollte und dies gerne im chilligen Beizli, an dem wir gerade vorbeigeschlurft waren täte. Die Inderin war von der Idee sofort begeistert und schloss sich mir spontan an.
Und so verbrachten wir Falafel schlemmend und Israelischen Weisswein schlürfend zwei wundervolle Stunden am Mittelmeer-Ufer. Archana verriet mir bei der Gelegenheit, dass die Bereisung des Heiligen Landes seit über dreissig Jahren ganz zu oberst auf ihrer Bucketlist stünde. Ich war gerührt und dankbar zugleich, sie auf diesem Weg und besonders in diesen allerersten Stunden begleiten zu dürfen.

Foto 05.09.19, 20 31 07
Wie heisst es doch so treffend: Der Falafel fällt nicht weit vom Stamm!

Mehr zu Tel Aviv folgt in einem weiteren Teil dieser Israel-Serie, versprochen!

Akko

Die Tour startete am nächsten Tag nach einer morgendlichen Stipvisite im schmucken Old-Jaffa (dazu dann später mehr, versprochen!) Richtung Norden – nach Haifa und Akko. Im mittelalterlichen Akko darf man sich den ca. 1000 jährigen Templer-Tunnel nicht entgehen lassen. Der 350 Meter lange Tunnel führt vom Westen der Altstadt komplett unterirdisch zum Hafen und diente den Templern, den letzten Kreuzrittern im Heiligen Land, vermutlich als Fluchtweg.
Der Tunnel wurde erst vor gut fünfundzwanzig Jahren entdeckt. Man sprach damals, im Jahre 1994, von einer archäologischen und bauhistorischen Sensation.

Foto 06.09.19, 12 07 39
Eindrücklich: der uralte Templer-Tunnel in Akko

Nazareth

Foto 06.09.19, 17 21 12Auf Nazareth war ich besonders gespannt, immerhin soll hier Jesus seine Jugendjahre verbracht haben.
Verblüfft war ich tatsächlich, als ich, nachdem mir tagsüber bei einer hastigen Bewegung ein Knopf aus der Hose gesprungen war, auf meinem Hotel-Zimmer in Nazareth prompt ein Nähset inkl. Ersatzknöpfen vorfand. Das konnte doch unmöglich Zufall sein?!???

Die Verkündigungsbasilika ist das Aushängeschild Nazareths. Die imposante und doch schlicht anmutende Basilika wurde über der Grotte erbaut, an der der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria erschienen sein soll. Die Basilika ist die grösste Kirche im Nahen Osten.

Foto 07.09.19, 08 08 32
Verkündigungsbasilika in Nazareth.

Die Kuppe der Basilika stellt eine umgekehrte Tulpe dar. Der Blütenkelch beschützt sinnbildlich die Gemeinschaft, während Gott im Himmel die Wurzel darstellen soll.

Foto 07.09.19, 08 02 50

Die Stimmung in der Basilika lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Gesänge.
  • Gebete.
  • Stille.
  • Demut.
  • Ehrfurcht.

… und im hinteren Teil der Basilika wischte tatsächlich gerade jemand Staub.

Foto 07.09.19, 08 02 17.jpg

See Genezareth

Weiter führte uns unsere Reise an den See Genezareth, über den Jesus gelaufen sein soll. Meine Theorie ist ja, dass  da eine Verwechslung vorliegen könnte und Jesus nicht über diesen Süsswassersee, sondern über das etwas südlicher liegende Tote Meer gewandert war. Im Toten Meer kann man schliesslich selbst heute nicht untergehen. Was, wenn dessen Salzgehalt vor 2000 Jahren noch wesentlich höher und die Wasseroberfläche dadurch noch undurchdringlicher war? Für mich wäre dies eine durchaus plausible Option – aber wer fragt mich schon?!

Der See Genezareth liegt 200 Meter unter dem Meeresspiegel am Fusse der Golanhöhen, einem disputablen Hochplateau, das eigentlich zu Syrien gehört. Israel nahm die Golanhöhen jedoch im Sechstagekrieg von 1967 aus militärstrategischen Gründen ein. Vom Plateau aus könnte die syrische Artillerie grosse Teile Nordisraels beschiessen, was sie vor 1967 auch regelmässig tat. Die Besetzung der Golanhöhen durch Isreal ist jedoch bis heute international umstritten – mal abgesehen von den Amerikanern, welche der Annektierung vor wenigen Monaten offiziell ihren Segen ausgesprochen hatten, was wiederum – man braucht es an dieser Stelle eigentlich gar nicht zu erwähnen – ebenfalls international umstritten ist.

Foto 07.09.19, 09 19 54.jpg

Gemäss Tourprogramm wäre ein Stopover im Städtchen Tiberias am See von Genezareth vorgesehen gewesen. Leider machte unser Guide zu dem Zeitpunkt gerade ein Nickerchen im Bus. Jedenfalls verpassten wir Tiberias und fuhren schnurstracks weiter in Richtung Westbank – vorbei an an riesigen Bananen-, Mango- und Dattelpalmen-Plantagen.

Foto 09.09.19, 09 11 17

Die Datteln waren hier alle abgedeckt. Unser Driver nahm dies zum Anlass und fragte aus heiterem Himmel: 

👨🏽‍🦱: „do you know why they cover the dates?“

Foto 08.10.19, 17 25 14
👨🏽‍🦱: „they are preparing blind dates“
Foto 08.10.19, 17 25 13 (1)
Foto 08.10.19, 17 25 13 (2)
So, liebe Leute, das war der erste Teil meiner Israel-Serie. Bald gehts an dieser Stelle weiter nach Bethlehem und Jerusalem – stay tuned!

In der Zwischenzeit ein paar Buchtipps gefällig?

Bücher zum Thema

  • Gebrauchsanweisung für Israel und Palästina von Martin Schäuble
    Ich hatte das Buch „Gebrauchsanweisung für Israel und Palästina“ vor meiner Reise bereits zweimal gelesen und ich las es auf der Tour ein drittes Mal. Ich mag den stringenten, fluffigen Schreibstil von Martin Schäuble sehr. Das erste Kapitel des Buchs trägt den Titel „Theater über den Wolken“. Darin vergleicht Martin Schäuble den Flug nach Tel Aviv mit einem Theaterstück auf der ganz grossen Bühne. Der Text ist zum Schenkel klopfen und ich dachte mir, dass das wohl alles etwas übertrieben sei. Aber nein, das ist es nicht.
  • How to understand Isreal in 60 days or less von Sarah Glidden
  • Während die Welt schlief von Susan Abulhawa
  • The Source von James A. Michener

 

Biketour durch das malerische Elsass

Zu meinem Geburtstag, welcher, wie es sich für ein anständiges Sommerkind nunmal gehört, mitten im Hochsommer liegt, gönne ich mir jeweils gerne ein spezielles Outdoor-Abenteuerchen. Dieses Jahr stand eine 1 bis n-tägige Biketour durchs Elsass auf dem Programm.

Mein Tagesmotto:
Radle glücklich 🤩 🚴‍♀️
radle froh 🤠 🚴‍♀️
älter wirst du sowieso 🎂

Von Basel nach Strassburg sind es rund 140 tendenziell leicht abfallende Kilometer, was theoretisch an einem Tag zu schaffen wäre. Mit dem „n“ hielt ich mir jedoch bewusst das Türchen für spontane Ideen offen – man soll die Feste schliesslich feiern wie sie fallen.

Tag 1: Basel > Colmar (105km)

Zuerst gings mit Zug und Tram bis Weil am Rhein bei Basel.

Foto 29.07.19, 09 04 59

👩‍🦰 „Sag mal, liebes Drämmli, warum ist es denn da wo wir hinfahren so schön?“ 

🚋 „Weil am Rhein!“ 

👩‍🦰 „Jääsooo.“

In Weil galt es den europäischen Rhein-Radweg (Route 15) ausfindig zu machen und dann gings auch schon los nordwärts. Der Rhein-Radweg ist an sich ein komfortabler Kiesweg, der jedoch aufgrund der heftigen Regenfälle vom Vortag stark aufgeweicht war, was das Anspruchsniveau um eine halbe Nuance anhob.

Als ich das malerische Breisach erreichte, hatte ich 65 Kilometer in den Beinen und einen knurrenden Magen der nach Kohlenhydraten lechzte. Also suchte ich mir ein lauschiges Plätzchen in einem gemütlichen Strassen-Café und stärkte mich mit Badischen Maultaschen auf Salatbouquet und einer erfrischenden Apfelsaftschorle.

Foto 29.07.19, 14 14 05
Kohlenhydrate. So wichtig.

Die ersten nennenswerten Höhenmeter der Tour galt es bei der Besichtigung des Städtchens Breisach zu bewältigen.

Foto 29.07.19, 13 34 38
Malerisches Breisach DE.

Gemäss der Routenbeschreibung führt der Rhein-Radweg auf der französischen Seite ab Breisach bzw. Neuf-Brisach bis Artzenheim abwechslungsreich durch Dörfer und Felder. Das klang nach einer prüfenswerten Alternative zum eher monotonen, teilweise matschigen Kiesweg auf der rechten Rhein-Seite. Nach eineinhalb Maultaschen stand mein Entschluss fest: ja, ich wollte meinen Weg auf der französischen Seite des Rheins fortsetzen!

☝️ „Attention, mesdames et messieurs, j’arrive!!!“

Nach der Mittagspause war zunächst volle Konzentration für den Seitenwechsel gefordert. Als Quereinsteiger auf der linken Rhein-Route muss man sich nämlich zunächst auf dichtbefahrener Hauptstrasse bis zum offiziellen Rhein-Radweg durchschlängeln – stets auf der Hut, nicht irrtümlicherweise die Autobahnauffahrt zu erwischen (Anmerkung: die Autobahntafeln sind in Frankreich blau, so wie in der Schweiz die Hauptstrassenschilder.)

Kurz vor Kunheim ballte ich stolz die Faust in die Luft, als ich den Rhein-Rhône-Kanal erreicht hatte. Jetzt musste ich nur noch immer schön dem Kanal folgen und würde Strassburg in den frühen Abendstunden erreichen.  Soweit der Plan.
Dass ich bei Kunheim zwar den Kanal, damit aber nicht den Radweg Nr. 15 erreicht hatte, wurde mir erst viel später an diesem Abend bewusst. In Colmar. Tja, wenn man eben plötzlich eine 90-Grad-Wende vornimmt und sodann dem falschen Kanal folgt, landet man eben nicht im nördlichen Strassburg, sondern im westlichen Colmar. Soviel zum Plan, herrje!
Ich danke dem Universum sehr herzlich für diesen Lausbubenstreich! 😅

Foto 04.08.19, 13 49 48 (1)
Rot = offizieller Rhein-Radweg Nr. 15 / Gelb: doedels Route 😅

 

Foto 29.07.19, 19 31 57
Colmar hat offensichtlich ein Herz für Radfahrer 🤩

Ich erreichte die Touristeninformation im Zentrum von Colmar just zehn Minuten vor deren Schliessung und ergatterte mir noch husch die Adressen von einigen potenziellen Unterkünften, die im Verlaufe des Nachmittags noch freie Kapazitäten angemeldet hatten. Die zweite Adresse, das Beauséjour, war bereits ein Erfolg. Das Hotel liegt etwas ausserhalb des Stadtzentrums, aber ich hatte ja mein Rad dabei und auf ein paar Kilometer mehr oder weniger kam es nun wirklich nicht mehr an.

Fürs Abendessen stürzte ich mich ins romantische Getümmel von „La petite Venise“ (Kleinvenedig) und bestellte in tadellosem Französisch: une tarte flambée, s’il vous pleee! 😋

Foto 29.07.19, 19 37 04
Romantik pur in „la petite Venise“

Tagesfazit:
nach 💯 Kilometern in den Flossen und
2 Glas Gewürztraminer im Blut
spreche ich quasi fliessend spanisch 🇪🇸🥰,
aber das interessiert in Frankreich 🇫🇷
keine Sau 🐷 … bzw. pas un porc! 

Tag 2: Colmar > Strassburg (85km)

Am nächsten Morgen tankte ich meine Energiespeicher bei einem Frühstück vor romantischer Kulisse auf.

Foto 30.07.19, 10 04 56
Romantik pur in „la petite Venise“

Vergebens hatte ich nach einem Birchermüesli Ausschau gehalten und mich schliesslich mit einem traditionellen französischen Baguette und einer Miniportion Joghurt zufrieden gegeben.

Foto 30.07.19, 09 26 14
Frühstück natürlich mit original französischem Baguette

Dann ging es los. Zurück an den Rhein-Rhône-Kanal und von dort dann gefälligst NORDWÄRTS, heiliger Bimbam!

Erwartungsgemäss hielt das weissmehlgeschwängerte Frühstück nicht lange hin. Bereits nach neunzig Bike-Minuten musste ich meinen Notfall-Naschbeutel plündern.

Foto 30.07.19, 13 47 18

„Wie heisst der Gebirgszug westlich vom Elsass?“

🤷‍♀️ „Das habe ich vor lauter flach Vogesen.“

Foto 30.07.19, 13 29 50
Sommeridylle im Elsass

Foto 31.07.19, 13 19 39

Schnapszahl-Geburtstag hin oder her: IRGENDWANN HAST DU EINFACH KEINEN DURST MEHR! Diese gesetzlich aufgezwungene Sauferei in diesem Frankreich ist echt anstrengend, ey! ! 🤪

 

Foto 30.07.19, 13 49 02

Jetzt BLOSS NICHT nach Colmar fahren, doedel, BLOSS NICHT! 🙂

Foto 30.07.19, 13 51 10
Dieses Bild steht stellvertretend für 50 weitere Kilometer des Rhein-Rhône-Kanals 🤪

Foto 30.07.19, 15 00 37
Langsam nähern wir uns der Zivilisation…

Endlich erreichte ich Strassburg.

Foto 30.07.19, 15 50 36
Bienvenue à Strasbourg

Sofort war mir klar, dass ich hier ebenfalls einige entspannte Stunden verbringen und nicht sofort wieder abreisen wollte und so suchte ich auch hier die Touristeninformation auf. Diesmal landete ich mit dem Hotel Roses einen absoluten Volltreffer. Die Lage ist perfekt – im lebhaften Stadtteil Krutenau (an der Rue de Zurich, übrigens 😉) Das Personal ist superfreundlich, die Zimmer sind modern und mit viel Liebe zum Detail eingerichet. Das Ganze zum absolut fairen Preis. Uneingeschränkte Weiterempfehlung.

Foto 30.07.19, 17 46 07
Hotel Roses an der Rue de Zuich, Strassburg

Tag 3: Sightseeing-Tour Strassburg (35km)

Am dritten und letzten Tag meines kleinen Bike-Abenteuers (das „n“ im zweiten Abschnitt steht also für die Zahl 3) unternahm ich eine kleine Sightseeing-Tour in und um Strassburg. Einige Impressionen:

Foto 31.07.19, 11 27 33
Europäisches Parlament, Strassburg

Foto 31.07.19, 11 26 32
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Strassburg

Foto 31.07.19, 12 09 08
Jardin des deux rives zwischen Strassburg (FR) und Kehl (DE)

Nach dem Mittag begab ich mich zum Bahnhof und besorgte mir ein Ticket für die Verbindung kurz nach 18 Uhr nach Basel. Die Zeit bis zur Abreise verbrachte ich schliesslich noch flanierend im Viertel „La petite France“.

Foto 31.07.19, 15 14 26
Flanieren in „La petite France“, Strassburg.

Foto 31.07.19, 14 10 01
Sehr lecker und typisch elsässisch: das Sauerkraut als Beilage 😋

Und die Moral von der Geschicht‘: älter werden ist so schlimm gar nicht!

🍀 🚴‍♀️ 🐷 🚴‍♀️ ☀️ 🚴‍♀️ 🥂 🚴‍♀️ 🎅 🚴‍♀️🎈 🚴‍♀️ ☕️ 🚴‍♀️ 🥳

Foto 30.07.19, 20 29 03

Nicht traurig sein, liebes Gässel, ich mag manchmal auch net… 😔 Aber zum traditionellen Geburtstags-Abenteuerchen wünsche ich mir auch für’s nächste Jahr das notwendige Quäntchen Power! 💪

 

 

Rothaar meets Rothorn: Meine Mini-Auszeit auf dem Brienzer Rothorn

Soviel vorweg: bräuchte man zum Bloggen seine Beine und Füsse, hätte dieser Beitrag keine Chance gehabt, heute online zu gehen. Ich spüre jeden einzelnen Quadratzentimeter von den Hüften bis runter zur grossen Zeh. Wir sprechen hier von sagenhaften 96 Zentimetern Jammer-Strecke. Lange Beine haben eben nicht nur Vorteile.

Trotz Wehwehchen blicke ich voller Dankbarkeit auf zwei wundervolle Wandertage im Berner Oberland zurück. Wobei das nicht ganz korrekt ist, denn das Brienzer Rothorn gehört offiziell zum Kanton Luzern und ist mit seinen 2349 Metern sogar der „höchste Luzerner“ (Ja, genau so habe ich auch gekuckt…). Wer wie ich, über das idyllische Berner Oberland via Thun, Interlaken und Brienz anreist, der hat Luzern so überhaupt nicht auf der Rechnung und ist bei der Ankunft auf dem Gipfel entsprechend perplex.

Die Fahrt in der nostalgischen Dampf-Zahnradbahn, der Brienz Rothorn Bahn,  ist ein Muss. Geduldig und tapfer stampft sich das bald 130 jährige Vehikel Meter für Meter voran. Welch Leistung dies tatsächlich ist, sollte ich noch am eigenen Leib erfahren. Aber erst mal galt es, sich zurückzulehnen und die bequeme Anfahrt zu geniessen.

Foto 28.06.19, 06 42 22
Die Fahrt mit der nostalgischen Dampf-Zahnradbahn ist ein Muss!

Hinter jeder Kurve offenbart sich einem ein neues Panorama und je höher man kommt, desto selbstbewusster zeigen sich einem die ganz Grossen der Schweizer Alpen – allen voran das Trio Eiger, Mönch und Jungfrau.

Meine knapp vierstündige Anreise mit all seinen „Hachs“ und „Wows“ machte hungrig und nach einem flüchtigen Blick auf die Speisekarte des Bergrestaurants gab es kein Pardon mehr: die Rothorn Röschti musste her, aber dalli! 😋

Foto 28.06.19, 14 40 38
Röschti with a view…

Frisch gestärkt begab ich mich schliesslich zur Rezeption des Berghauses Rothorn Kulm. Drei Tage zuvor war ich durch eine Internet-Annonce auf das Brienzer Rothorn und das schmucke Berghaus aufmerksam geworden und fragte spontan per E-Mail an, ob für die Nacht von Freitag auf den Samstag noch ein Einzelzimmer zu haben wäre. Ich zögerte einen Moment, bevor ich auf den Senden-Button klickte.  Für die ganze Woche waren im Flachland Temperaturen weit über 30 Grad Celsius angesagt. Ich würde bestimmt nicht die Einzige sein, die – noch dazu am Wochenende – in kühlere Gefilde entfliehen würde und stellte mir vor, wie sich die ganze Berghaus-Crew über meine kurzfristige Anfrage vor Lachen krümmte. Aber nix dergleichen: wenige Stunden später flatterte die Reservationsbestätigung herein – DAS war ja leicht!

Mein Zimmer war äusserst charmant und heimelig. Und der Blick aus dem Fenster schlicht unbezahlbar.

Foto 29.06.19, 05 28 27
Room with a view… (Stimmung bei Sonnenaufgang)

Nach dem Zimmerbezug schnallte ich meine Wanderschuhe an und knöpfte mir den Weg zum Gipfel des Rothorns vor. Mich interessierte vorallem der Blick Richtung Norden und Osten. Man soll hier über das Entlebuch hinweg den Pilatus und die Rigi sehen – das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Doch statt eines fetten Panoramas gab es nur fette, graue Wolken zu sehen. Der Anblick erinnerte an den Kanton Aargau im Herbst 😏
Etwas später an dem Abend rissen die Wolken dann aber mindestens eben so plötzlich wie sie aufgezogen waren wieder auf und so erklomm ich die Spitze eben ein zweites Mal: Rothaar meets Rothorn!

Foto 28.06.19, 19 12 19
Rothaar 👩‍🦰 meets Rothorn ⛰️

 

«Den Sonnenuntergang auf der Terrasse des Berghauses zu geniessen, ist wie mit offenen Augen zu träumen.»
Monika Tuschy, Berghaus Rothorn Kulm

(Zitat-Quelle: https://brienz-rothorn-bahn.ch/berghaus/)

Ich kann die Aussage von Frau Tuschy nur bestätigen…

Foto 28.06.19, 21 16 14
Auch die Dampf-Zahnradbahn hat Feierabend…

Foto 28.06.19, 21 23 52
Sonnenuntergang auf dem Brienzer Rothorn.

…dasselbe gilt übrigens auch für den Sonnenaufgang.

Am nächsten Morgen wachte ich ohne Wecker um 5.20 Uhr aus meinem Dornröschenschlaf auf und war damit pünktlich zum Sonnenaufgangspektakel zur Stelle. Man weiss hier gar nicht so genau, wohin man seinen verschlafenen Blick zuerst richten soll.

Foto 29.06.19, 05 40 59
Sonnenaufgang auf dem Brienzer Rothorn mit Sicht auf den Pilatus und die Rigi.

Nach dem leckeren Frühstück war packen angesagt. Hoch motiviert zurrte ich die Senkel meiner Wanderstiefel fest, setzte Kopfbedeckung und Sonnenbrille auf und füllte meine Wasserflaschen auf. Von nun an gings buchstäblich bergab.

Foto 29.06.19, 10 09 13
Auf dem Bild ist eine Jungfrau zu sehen – wer findet sie? Such-Quiz 🙂

Auf der Planalp befand sich die Mittelstation der Brienz Rothorn Bahn. Hier hätte ich notfalls auf die Schiene wechseln können, falls mir der Downhill-Marsch allzu sehr in die Knie gegangen wäre. Mit dieser Option im Hinterkopf setzte ich optimistisch und kraftvoll einen Schritt vor den anderen.

Unterwegs galt es drei Schneefelder und einige Kuhherden zu durchqueren. Und natürlich kommt einem die süsse Nostalgie-Bahn ab und zu in die Quere. Es gibt definitiv Schlimmeres!

Foto 29.06.19, 10 45 19
Schiene kreuzt Fussweg: fast wie in Downtown Zürich.

Foto 29.06.19, 11 26 56
tschipfu tschipfu Isebahn 🚂

Mit einem aufwärts keuchenden Wandervogel tauschte ich mich kurz über den jeweils vor uns liegenden Weg aus. So erfuhr ich, dass das Stück nach der Planalp runter bis Brienz nicht unterschätzt werden sollte und stellenweise ziemlich steil sei. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich für das letzte Stück auf die Bahn wechseln würde, stieg ab diesem Zeitpunkt markant an.
Doch als ich die Planalp auf 1347 Metern erreichte, war ich gut bei Kräften. Ich beschloss mir in der flauschigen Alp-Beiz eine erfrischende Apfelschorle zu gönnen und anschliessend zu entscheiden, ob ich die letzte Etappe zum See aus eigener Muskelkraft zurücklegen oder die gemütlichere Variante nehmen würde.
Der Weg war hier sehr breit und übersichtlich. Ich entschloss, ein Stück weit zu wandern und notfalls zur Planalp zurückzukehren. Das Drama zeichnete sich nach vielleicht 20-30 Wanderminuten langsam ab. Zuerst war nur ein kurzes Stück steil, bevor sich der Weg wieder gemütlich abfallend durch den Wald dahinschlängelte. Doch diese kurzen Wegstücke häuften sich und wurden ausserdem zunehmend länger und gerölliger. Doch Umdrehen war längst keine Option mehr. Also biss ich auf die Zähne (und einmal sogar auf die Unterlippe… 🙄)  und erreichte Brienz endlich mit reichlich schlotternden Knien. Ich weiss gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal dermassen weiche Knie hatte. Vermutlich steckte damals ein Mann dahinter. Ich sagte: vermutlich.

Foto 29.06.19, 13 56 10

Am See reanimierte ich meine tot geglaubten Füsse und Unterschenkel im eisig kalten Brienzersee, um sie anschliessend in einer schattigen Ecke für ein paar kostbare Augenblicke auf der Ufermauer hochzulagern.
Im flauschigen Gartenbeizli des Hotels Bären stärkte ich mich mit einem köstlichen Forellenfilet auf buntem Salatbouquet. Dann führte mich der Weg der schönen Seepromenade entlang zum Bahnhof.

Foto 29.06.19, 16 15 12
Mein Wander-Gspänli entlang der Brienzer Seepromenade war ein echter Holzkopf. Psssssst…. das bleibt unter uns, gelled?!

Direkt gegenüber des Bahnhofs liegt der Hafen und der Zufall wollte es, dass just zehn Minuten nach meinem Eintreffen das Kursschiff nach Interlaken ablegen würde. Es brauchte nicht allzuviel Überredenskunst, um mich von meinem ursprünglichen Plan, nämlich die Heimreise ab Brienz im Zug anzutreten, abzubringen. Und so schwang ich meinen müden Hintern an Deck der MS Irgendwas und summte ein vergnügtes „Seemann, lass das Träumen. Denk‘ nicht, an Zuhaus’…“ vor mich hin.

Ich genoss den Perspektivenwechsel und zwinkerte dem Brienzer Rothorn ein letztes Mal keck zu. Es hatte sich inzwischen mit der einzigen Wolke weit und breit verbündet und gemeinsam thronten sie friedlich vor sich hin…

Foto 29.06.19, 16 59 39
Perspektivenwechsel: Blick vom Schiff auf das Brienzer Rothorn (direkt unter der rechten Wolke)

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der zwischenzeitlichen Momente, an denen ich an meinen physischen Grenzen geschnuppert hatte, wird mir mein spontaner Ausflug auf das Brienzer Rothorn – den höchsten Luzerner, übrigens! 🤓 – noch lange in Erinnerung bleiben, wetten?!

Foto 29.06.19, 16 59 27
Krönender Abschluss eines Bilderbuchtages: chillige Schifffahrt von Brienz nach Interlaken.

Übrigens: hatte ich schon erwähnt, dass mir heute meine Beine schmerzen?

Ich werd‘ ja wohl noch fragen dürfen?!??

Cinque Terre: Eine Kulisse wie bei Malen nach Zahlen

Cinque Terre stand schon seit einiger Zeit auf meiner Ausflugs- und Kurztrip-Ideen-Liste. Als ich Anfang März in einem Bericht über Ligurien las, dass die fünf malerischen Dörfer an der italienischen Riviera an Ostern besonders und danach den ganzen Sommer über an den Wochenenden von Touristenströmen geradezu überrollt würden, war für mich klar, dass ich bald, sehr bald, auf jeden Fall noch vor Ostern, hinreisen würde. Was für ein Glück, dass Ostern dieses Jahr so spät fällt. Das gab mir noch etwas Luft für die Planung.

Als erstes überlegte ich mir, ob ich alleine nach Ligurien reisen oder ob ich mich um eine nette Begleitung bemühen sollte. Ich wollte dem Projekt „Gspänli“ zumindest eine Chance geben und schrieb drüben bei Spontacts eine entsprechende Annonce aus:


Hallo Leute
Ich plane einen 4-Tages-Trip (3 Übernachtungen) in die malerischen Dörfer der Cinque Terre und hätte nichts gegen eine nette Begleitung (Männlein oder Weiblein, 38-52 Jahre) einzuwenden.

Folgende Eckdaten zum Trip:

  • Wann: 5.-8.4.19 oder 12.-15.4.19
  • An/Rückreise im Zug
  • Aktivitäten vor Ort: Wandern, Pasta, Pizza und Wein
  • Übernachtung im Hotel (im Einzelzimmer)
  • Kosten: ca CHF 500 (Zugfahrt und Übernachtung im Hotel)

Vorgängiges persönliches Treffen erwünscht.

Bist du dabei? Dann freue ich mich, von dir zu lesen!


Einige Anekdoten, Verstrickungen und imaginäre Gin Tonics später entschied ich, den Trip alleine durchzuziehen. Ich suchte mir also ein nettes Hotel, besorgte mir ein Zugticket und zehn Tage später ging es dann auch schon los. Das Leben kann ja so einfach sein!

Via Mailand und Genua erreichte ich nach gut sieben Stunden Zugfahrt mein frisch renoviertes Zimmer im Hotel Italia e Lido in Rapallo.

Blick von meinem Zimmer auf Schloss Rapallo
Blick von meinem Zimmer auf Castello Rapallo

Rapallo liegt eine gute Zug-Stunde nördlich der Cinque Terre. Dies hat den Vorteil, dass man relativ weit weg vom Schuss ist und hat den Nachteil, dass man relativ weit weg vom Schuss ist. Wer die Cinque Terre zum Ziel hat, der findet möglicherweise geeignetere Ausgangsorte. Egal, Rapallo ist nett, ich hatte eine wirklich gute Zeit dort und es ist wohl nur meiner angeborenen Hartnäckigkeit zu verdanken, dass ich jetzt nicht mit Franco, dem Kellner von nebenan verlobt bin.

Am nächsten Morgen besorgte ich mir die Cinque-Terre-Card und nahm diese gute Zug-Stunde Richtung Süden auf mich. Der Plan war, ab Monterosso, dem ersten der fünf Dörfer, den Küstenwanderweg „Sentiero Azzurro“ zu suchen, welcher die fünf Dörfer in einer gut bewältigbaren Tageswanderung verbindet.
Da jedoch just an jenem Tag der „Sciacche Trail 2019“ (Cinque Terre Ultra Trail) stattfand, war der Wanderweg für gemütliche Wandervögel wie mich an dem Tag gesperrt. Es blieb mir also nichts weiter übrig, als per Zug nach Vernazza, dem nächsten und gemäss Reiseführer schönsten der fünf Dörfer zu reisen.

Vernazza ist wirklich sehr schmuck – eine wahre Perle! Weil meine Beine nach der bequemen Anfahrt per Zug noch superfit waren, entschloss ich mich für einen ausgiebigen Dorfrundgang. Wobei der Rundgang im Falle von Vernazza ja eher ein Auf-und-Abgang ist.

Foto 06.04.19, 14 05 53
In Vernazza zählt man vermutlich nicht Schafe zum Einschlafen, sondern Treppenstufen…

Ungezählte Treppenstufen später hatte ich das Castello Doria erreicht und genoss den zauberhaften Ausblick auf das idyllische Vernazza.

Foto 06.04.19, 14 10 02
Blick vom Castello Doris… äh Doria in Vernazza

Wieder unten am malerischen Hafen angekommen, gönnte ich mir eine superleckere Pizza mit frischen Tomaten. Ja, ihr habt schon richtig gelesen: FRISCHEN TOMATEN! wo gibts denn sowas noch?

Nachdem ich von einem gut aussehenden Italiener in gelber Staff-Weste und damit quasi aus erster Hand die Mitteilung erhalten hatte, dass der Wanderweg von Vernazza bis nach Corniglia nun geöffnet sei, nahm ich erneut einige Höhenmeter auf mich und arbeitete mich zum Wanderweg hoch. Immer wieder kamen mir Ultra-Trail-Runner entgegen und ich ahnte schon, worauf das Ganze hinauslaufen würde. Und prompt wurde ich erneut aufgehalten und nett aber bestimmt von der Trail-Staff zum Rückzug aufgefordert.
Was für ein Glück, dass ausgerechnet an dieser schicksalhaften Ecke einer ein schickes Restaurant eröffnet hat.

Foto 06.04.19, 15 13 48

Und so genoss ich hier nebst einem Gläschen Cinque Terre DOC eine weitere atemberaubende Perspektive auf Vernazza.

Foto 06.04.19, 14 42 41

Den restlichen Tag verbrachte ich mit ausgedehnten Berg-und-Tal-Spaziergängen durch die beiden Dörfer Manarola und Riomaggiore und natürlich mit der einen oder anderen Schlemmerei 😋

Für den nächsten Tag, es war der Sonntag, war Regen angesagt. Ich sass beim Frühstück und musste durch die grosszügige Fensterfront feststellen, dass Petrus genau das tat, was die Wetterprognose von ihm verlangte. Am Nachmittag sollte der Regen aufhören. Mit dieser optimistischen Aussicht schnappte ich mir eine weitere Tasse Kaffee, zückte mein Buch hervor und verweilte noch eine ganze Weile an meinem Frühstückstisch.
Erst zum Mittag machte ich mich bei inzwischen nur noch leichtem Regen auf den Weg zum Bahnhof und kaufte mir erneut eine Cinque-Terre-Card. Mit jedem Kilometer den ich Richtung Süden fuhr, wurde es sonniger und als ich Manarola erreicht hatte, herrschte Wetter wie aus dem Bilderbuch.

Foto 07.04.19, 15 51 20
vor der malerischen Kulisse von Manarola war ich mal wieder in Selfie-Laune 😉

Dem prächtigen Wetter zuliebe beschloss ich erneut eine kleine Wanderung zu wagen. Wie ich erst viel später (genau genommen erst als ich längst wieder zu Hause war) erfahren sollte, ist der einfache, ca. 2 Kilometer lange  Küstenwanderweg, der „Sentiero Azzurro“, zwischen Manarola und Corniglia voraussichtlich bis 2021 gesperrt – und nein, nicht 20.21 Uhr, sondern 2021 – BÄM! Ahnungslos folgte ich an jenem Sonntag den Wanderwegweisern, die mich automatisch auf die Alternativ-Route, genau: den Sciacche-Ultra-Trail, lotsten. Und so wurde aus der geplanten Easy-Peasy-Sonntagnachmittagswanderung ein harter 14 Kilometer Ultra-Marsch mit überwältigenden Ausblicken auf die ligurische Küste – man gönnt sich ja sonst nix, ey! 😉

Foto 07.04.19, 15 58 21
Blick auf das malerische Manarola

Von nun an ging’s bergauf.

Foto 07.04.19, 16 46 23
Unterwegs auf dem Sciacche Trail, dem Cinque Terre Ultra Trail

Endlich war Corniglia in Sicht.

Foto 07.04.19, 17 44 12
Nach 14 Ultra-Kilometern endlich in Sicht: Corniglia

Bevor ich hier die 332 Stufen vom Dorfkern runter zum Bahnhof in Angriff nahm, gönnte ich mir noch einen kleinen Apéro.

Foto 06.04.19, 17 26 00
Eine willkommene Stärkung in den Nationalfarben!

Am nächsten Morgen hiess es bereits Ligurien auf Wiedersehen zu sagen. Tja, liebe Leute, wer „A“ sagt, muss auch „rrivederci“ sagen können, so ist nun mal das Leben.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass ich mich nicht zum letzten Mal in dieser wundervollen Ecke herumgetrieben habe.

Foto 06.04.19, 18 10 30

Bolivien: Trekking durch den Altiplano

Bolivien ist – wie die Schweiz auch – ein Binnenland. Im Gegensatz zur Schweiz, war dies bei Bolivien allerdings nicht immer so. Bolivien verlor im Zuge des Salpeterkrieges im späten 19. Jahrhundert 400 Kilometer seines Küstengebiets an Chile und damit seinen Zugang zum Pazifik. Es wundert daher nicht, dass die Bolivianer nicht sonderlich gut auf die Chilenen zu sprechen sind. 

Bolivien ist eines der ärmsten Länder Südamerikas und dies, obschon es über das drittgrösste Erdgasvorkommen des Kontinents verfügt. Chile seinerseits könnte einen verlässlichen Erdgaslieferanten gut gebrauchen. Der gegenwärtige bolivianische Präsident Evo Morales verfolgt bezüglich des westlichen Nachbarn denn auch eine klare Gib-mir-Küste-und-ich-gebe-dir-Gas-Politik. Doch Chile lässt sich nicht auf diesen Deal ein. 

Just an dieser umstrittenen Ecke passierte unser friedvolles Trekking-Grüppchen schliesslich die Grenze zu Bolivien. 

Die Reise im Überblick

Ich habe drüben bei GoogleMaps die wichtigsten Stationen und Highlights der gesamten Trekking-Tour erfasst. Dieser Blogpost beschränkt sich auf den Bolivien-Teil und schliesst damit nahtlos an den Chile-Teil an.

¡Adiós Chile, hola Bolivia!

Nachdem wir tags zuvor zum krönenden Abschluss des Atacama-Trekkings den Gipfel des Cerro Toco auf sage und schreibe 5’616 Metern über Meer erklommen hatten (mehr dazu hier), hiess es nun Abschied zu nehmen. Abschied von der imposanten Atacama-Wüste, Abschied von Chile und damit auch Abschied von unserer chilenischen Crew.

Es erfolgte ein fliegender Wechsel direkt am Grenzposten. Vom chilenischen Kleinbus, in dem jedes Gruppenmitglied einen Doppelsitz bequem für sich alleine beanspruchen konnte, galt es nun näher zusammenzurücken und uns auf die bereitstehenden Allradfahrzeuge aufzuteilen. 

Unsere Reisetaschen stehen vor den 4WDs zum Verladen bereit.
Es kann nicht schaden, seine Tasche am Verladeposten in eine gute Ausgangsposition zu bringen 😉

Team Theo 👭👭 und die Wüsten des Altiplanos

Zusammen mit drei anderen alleinreisenden Mädels platzierte ich mich im Wagen von Theo. Es war eine phantastische Wahl, wie sich bald herausstellen sollte. Es folgten drei herrlich unkomplizierte, kurzweilige Tage in denen uns Theo galant durch die Wüsten Salvador Dalí und Siloli kutschierte, während wir auf der Rückbank vergnügt quietschend über Gott, die Welt und mehr plauderten. Ein Hoch auf „Team Theo“!!! Danke, Mädels, ihr ward Spitze! 😍😂

Bald fiel uns auf, dass Theos Auto kein GPS hatte. Wir gingen in der logischen Konsequenz davon aus, dass der vorderste Wagen des Konvois mit einem entsprechenden Instrument ausgestattet war. Doch Theo verneinte. Man orientiere sich hier einzig und allein am Horizont. Wow!

Der Weg ist das Ziel…

Theos Landcruiser war das Montagsauto des Konvois. Der Wagen kränkelte und musste während der Tour mitten in der Wüste mehrmals überbrückt oder improvisiert repariert werden. Sogar ein Ausbau der Batterie war mit dabei.

Auto-Reparatur in der Wüste
Theos Auto musste auf der Tour mehrmals improvisiert repariert werden. (Foto: A. Arnold)

Ich bewunderte die mechanischen Fähigkeiten und das Improvisationsgeschick der bolivianischen Jungs. Man hätte fast den Verdacht schöpfen können, dass es nicht das erste Mal war, dass sie sich solcher Tricks bedienen mussten 🤔

Das Auto wird in der Wüste aufgetankt.

So geht Tanken in der Wüste 😉 (Foto: E. Arnold)

Die Lagunen des Altiplanos: Same same but different…

Der Weg führte von einer Lagune zur nächsten: Laguna Verde, Laguna Blanca, Laguna Colorada und wie sie alle hiessen. Jede ist schön und auf ihre Weise einzigartig. Immer wieder unternahmen wir in dieser wundervollen Gegend des Altiplanos kleine Wanderungen.

Erhard_20181108_160442
(Foto: E. Arnold)
Wanderung Altiplano
(Foto: N. Horni)

Wir befanden uns stets auf rund 4’000 Metern über Meer und gelangten selbst bei flachen Etappen ausser Atem. Und wenn uns nicht die dünne Luft den Atem raubte, dann diese unglaublich farbenprächtigen Lagunenlandschaften.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Die rote Färbung ist einer speziellen Algenart zu verdanken, die sich bei tiefem Wasserstand besonders üppig ausbreitet. In diesen roten Algen tummeln sich Millionen von kleinen Krebsen, die ebenfalls dieses Karotinoid, diesen rot färbenden Stoff enthalten. Und nun ratet mal, warum die Flamingos, die sich in der Lagune zu Hauf versammeln ausgerechnet einen rötlichen Teint haben? Wie heisst es doch so treffend: man ist, was man isst. 

Flamingos
Flamingos an der Laguna Colorada (Foto: N. Horni)

Leider hatten wir bei den Thermalquellen „Termas de Polques“ unsere Badehose nicht griffbereit, weshalb wir die Planscherei hier verpassten. Ein Grund mehr, später in diesem Leben nochmals hier vorbei zu schauen. 

Termas de Polques
Termas de Polques.

Geysir Sol de Mañana 🌋

Schliesslich erreichten wir den Geysir Sol de Mañana (Morgensonne).  Nach dem eindrücklichen Erlebnis bei den Geysiren des El Tatio vor ein paar Tagen (mehr dazu hier) hatten wir nun eine konkrete Vorstellung was uns in einem Geysirfeld erwarten könnte. Und siehe da: auch hier blubberte und dampfte es überall aus dem Erdboden. Und trotzdem war es komplett anders – same same but different. 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Es war ein intensiver Tag. Der „Arbol de Piedra“ war die letzte Station auf unserer Tages-Todo-Liste.   

Arbol de Piedra (Baum aus Stein)
Arbol de Piedra (Baum aus Stein)

Es sei nun nicht mehr weit bis zum Hotel, hiess es. Irgendwie konnte ich noch gar nicht glauben, dass wir überhaupt jemals wieder auf Zivilisation treffen würden. Doch dann tauchte plötzlich – aus dem Nichts – das Tayka del Desierto auf. Eine Oase mitten in der Wüste, auf 4’600 Metern über Meer. 

Tayka del Desierto
Das Hotel Tayka del Desierto mitten in der Wüste auf 4’600 Metern über Meer

Der Sternenhimmel hier draussen, fernab von jeglicher städtischer Lichtverschmutzung, ist schlicht grandios. Das Tayka del Desierto ist insofern also nicht etwa ein drei- oder vier-, sondern ein Millionen-Stern-Hotel. 

Es war die höchst gelegene Übernachtung auf der ganzen Tour und in meinem ganzen bisherigen Leben. Wir reden hier – notabene – vom Höhenniveau des Matterhorns.

Tayka del desiertoBlick aus dem Zimmerfenster des Hotels Tayka del desierto.

Ich war gespannt, wie es sich anfühlen würde, auf dieser Höhe zu schlafen. Und ja, es fühlte sich an. Und wie, herrje! Die ganze Nacht über plagte mich ein starker stechender Kopfschmerz. An Schlaf war kaum zu denken. Besonders heftig war der Schmerz, wenn ich mich in meinem Bett von einer Seite auf die andere drehte. Also beschloss ich, mich möglichst nicht zu bewegen, was eine Verkrampfung der gesamten Schulter- und Nackenmuskulatur zur Folge hatte. Aber genug gejammert! Es war eine wahnsinnig eindrückliche Erfahrung, die ich nicht missen möchte. 

Salar de Uyuni –– Dreaming for a White Xmas 🎄

Mein persönliches Highlight der Reise war der Salar de Uyuni. Mit einer Fläche von sagenhaften 10’000 Quadratkilometern (dies entspricht einem Viertel der Fläche der Schweiz) ist er der grösste Salzsee der Welt. 

Im Salar wird das weltweit grösste Lithium-Vorkommen vermutet. Aus Lithiumkarbonat lassen sich besonders leistungsstarke Batterien herstellen, die beispielsweise in Elektroautos eingesetzt werden. Damit hat der Rohstoff insbesondere in der Automobilindustrie ein enormes Potenzial und wird daher auch „weisses Öl“ oder „weisses Gold“ genannt. Bolivien, allen voran Evo Morales, erhofft sich durch den Abbau von Lithium den ersten nachhaltigen Aufschwung für sein Land und erklärte den Rohstoff zur strategischen Ressource. Welche Konsequenzen der gross angelegte Lithium-Abbau auf die einzigartige Salzwüste haben wird, lässt sich heute nur erahnen.  

Mitten im See befindet sich die Insel „Inca Huasi“. Markenzeichen der Insel sind ihre riesigen Kakteen. Es sind vier, fünf, sechs und sogar über acht Meter hohe Giganten. Ein Kaktus wächst pro Jahr nur gerade 1 Zentimeter. Die stacheligen Kumpels hier haben also bereits Jahrhunderte auf dem Buckel. WAHNSINN!!!

Foto 09.11.18, 17 08 02
Was für ein Prachtsding! Und der Kaktus ist auch nicht ohne, ey…

Positiv überrascht hat mich, wie locker man sich auf dem See und auf der Insel bewegen konnte. Aus anderen Destinationen ist man sich ja gewohnt, als Tourist an jeder Ecke in die Schranken gewiesen zu werden, aber hier am Salar de Uyuni war alles herrlich entspannt. 

Salar de Uyuni
Unsere 4WDs mitten im Salar de Uyuni

Während wir die Insel erkundeten, bereitete unsere Crew den Lunch zu. Angekündigt wurde ein „Picknick auf dem Salar“. Na ja, ein ziemlich vornehmes Picknick, finde ich 😂

foto-09-11-18-18-09-13.jpg

Die gammligen Plastikstühle und Tische wurden kurzerhand mit schicken Stoffen überzogen. Das Leben kann so einfach sein.  

Foto 09.11.18, 18 06 37

Zum krönenden Abschluss des tollen Tages in der Salzwüste stand uns eine Übernachtung in einem Salzhotel bevor. Salz war hier das überwiegende Material der Bausubstanz und die Gänge waren nicht etwa mit Steinplatten oder Teppich belegt, sondern mit Zentimeter dickem Salz-Kies. Für einmal waren Rollkoffer-Piloten klar im Nachteil und der Gepäckjunge wurde hier nur allzu gerne in Anspruch genommen. Für den Gang zur Lobby oder dem Restaurant mussten Flipflops für einmal den währschaften Wanderstiefeln weichen. 

Salzhotel
Nicht nur der Boden, auch die Couches sind hier übrigens aus Salz.

Potosí: einst die grösste Stadt der Welt

Nach der überwältigenden Zeit in der Salzwüste am Salar de Uyuni nahmen wir Kurs auf Potosí. Die Silberminenstadt war im 17. Jahrhundert die grösste und reichste Stadt der Welt. Das ist lange her, sehr lange. Das Leben wird hier auch heute noch von den Minen am Cerro Rico, dem „reichen Berg“, geprägt, aber die Umstände haben sich dramatisch verändert. Nichts ist hier mehr, wie es mal war.
Wir blieben eine Nacht in Potosí und nahmen am nächsten Tag Sucre, die Hauptstadt Boliviens ins Visier.  

Spieglein, Spieglein an der Wand… 

… wer ist die Schönste im ganzen Land? fragte Potosí und der Spiegel antwortete:“du warst lange Zeit die Schönste und Reichste, aber heute ist Schneewittchen, über den sieben Bergen bei den sieben Zwergen (Anmerkung: die Bolivianer sind aber auch klein, ey!) tausendmal schöner als du.
Ich mochte das zauberhaft weisse Schneewittchen (auch bekannt unter dem etwas phantasielosen Namen „Sucre“) auf Anhieb ❤️

Foto 11.11.18, 21 11 26

Titicacasee

Von Sucre ging es schliesslich per Inlandflug nach El Alto und von dort weiter zum berühmten Titicacasee, dem höchst gelegenen schiffbaren See der Welt. Es wäre keine Trekking-Reise, wenn wir hier nicht durch diese malerische Kulisse gelatscht wären. 

Foto 13.11.18, 14 48 31
Fast wie am Titisee im Schwarzwald 😉

Die quirlige Rosemarie war an dem Tag unser lokaler Tour-Guide. Mit viel Charme und Humor führte sie uns über Stock und Stein und erzählte uns viel über Land und Leute und das Leben am Titicacasee. Mich persönlich beeindruckten ja Rosemaries Wanderschuhe am meisten 👠 😂

Seilbahn-Paradies La Paz 

Ich hatte im Vorfeld gelesen, dass es in der Stadt La Paz Seilbahnen geben soll, hatte mir aber keine Mühe gemacht, weitere Hintergründe dazu in Erfahrung zu bringen. Hand auf’s Herz: wenn uns Schweizern nach Luftseilbahn fahren zumute ist, brauchen wir dafür nicht um die halbe Welt zu reisen. Entsprechend erwartungslos traf ich in La Paz ein. Doch letztlich war es genau dieses grandiose Seilbahn-Netz, das mich hier am allermeisten beeindruckte. Als öffentliches Verkehrsmittel verbindet es das dicht bebaute La Paz mit der Industriestadt El Alto, wo sich auch der Flughafen befindet. 

Foto 15.11.18, 16 51 20

Die erste Linie wurde im Mai 2014 in Betrieb genommen. Im Jahre 2020 soll das Seilbahnnetz mit über 30 Kilometern abgeschlossen sein.
Das zukunftsträchtige Projekt trägt ganz klar die Handschrift von Evo Morales. Als Bauherr wurde die österreichische Firma Doppelmayr verpflichtet. Die Gondeln stammen – zumindest teilweise – aus der Schweiz. Wer hat’s erfunden? 😉 

¡Hasta luego, Altiplano! 

In La Paz endete unsere zweiwöchige Trekking-Tour durch den Altiplano. Von nun an ging es abwärts. Von La Paz auf rund 4’000 Metern führte mich meine Heimreise in einer ersten Etappe nach Lima (Peru) auf gut 100 Metern.

In Lima erlebte ich übrigens einen äusserst amüsanten Zwischenstopp: Mein Stop-Over bei den Schönen und Reichen in Lima Viel Spass bei der Lektüre! 

Foto 16.11.18, 01 56 55.jpg

 

Atacama-Trekking: dünne Luft, fette Panoramen

Eines gleich vorweg: der Adrenalinkick, den mir meine pannenreiche Anreise zum Flughafen Zürich beschert hatte, wurde während der gesamten Trekking-Tour in den Anden nicht mehr getoppt.

Just in dem Moment, als ich den letzten Task auf meiner Abreise-Checkliste abgehakt hatte, erreichte mich an jenem Nachmittag nämlich die Nachricht über eine Störung im Schweizer Schienenverkehr. Es müsse mit Zugausfällen und Verspätungen gerechnet werden, hiess es. Da ich sowieso startklar war, entschied ich, bereits ein knappes Stündchen früher als vorgesehen, zum Flughafen aufzubrechen. Als ich die Menschenmassen und das wirre Treiben auf dem Bahnhof erblickte, wusste ich, dass die Entscheidung klug war.

Normalerweise  dauert die Fahrt zum Flughafen vierzig Minuten. Doch diesmal hatte ich es in vierzig Minuten gerade mal bis ins Epizentrum des totalen Kollaps geschafft – mitten drin, statt nur dabei, ey! Nach dramatischen über 2,5 Stunden, in denen ich viel Kampfgeist und Improvisationstalent bewies, erreichte ich das Checkin gerade mal zehn Minuten vor dessen Schliessung. Das war knapp, puhh.

Die restlichen knapp 12’000 km meiner Reise nach Santiago de Chile verliefen – im Vergleich zu diesen ersten 40 km – dann glücklicherweise herrlich entspannt.

Die Reise im Überblick

Ich habe drüben bei GoogleMaps die wichtigsten Stationen und Highlights des gesamten Trips erfasst. In diesem ersten Blogpost beschränke ich mich auf den Chile-Teil. Im nächsten Bericht knöpfe ich mir Bolivien vor.

Ausgangs- und Besammlungspunkt für die Tour war Santiago de Chile. Dort traf ich auf die restlichen 14 Gruppenmitglieder.

Bereits am nächsten Tag verliessen wir die Hauptstadt Chiles und flogen nach Calama im nördlichen Drittel des über 4000 km langen Landes.

Eine schöne Wüste 🏜️

Die Überschrift hört sich im ersten Moment vielleicht nach einem Widerspruch an. Kann denn eine Wüste schön sein? Oh ja, sie kann!

Salar de Talar, Atacama
Salar de Talar, einer der Salzseen in der Atacama-Wüste

Seit vielen, vielen Jahren faszinieren mich Wüstenlandschaften. Nach dem Outback, der Namib, der Kalahari, der Karoo und wie sie alle hiessen, konnte ich es kaum erwarten, endlich die Atacama, die trockenste Wüste der Welt, zu erkunden. An gewissen Orten ist hier bereits seit Jahrzehnten kein Regen mehr gefallen. Sogar im Death Valley fällt fünfzig Mal mehr Regen. Im Westen verhindert der Humboldtstrom an der Pazifikküste die Bildung von Regenwolken und im Osten/Nordosten schafft es die feuchte Luft aus dem Amazonasbecken partout nicht über die Andenkette. Na ja, ein bisschen in Schutz nehmen muss ich die feuchte Luft jetzt schon. Es ist tatsächlich nicht ganz einfach, auf, geschweige denn über diese Fünf- und Sechstausender zu kommen, wie ich noch am eigenen Leib erfahren sollte – aber dazu dann später.

Valle de la Luna 🌙

Nach dem Bezug unseres Hotels in San Pedro, der Wüsten-Hauptstadt, ging es direkt ins Valle de la Luna weiter. Hier stand uns am späteren Nachmittag eine Wanderung durch die bizarre Mondlandschaft bevor.

Natürlich waren wir hier nicht die einzigen wanderlustigen Geschöpfe:

Wanderer im Valle de la luna, Atacama
Das Wandern durch das Valle de la Luna war nicht nur unser einer Lust…

Zur Abenddämmerung greift Mutter Natur hier besonders tief in die Trickkiste und zaubert ein herrliches Farbenspektakel ins Tal. Während wir diese einmalige Stimmung ehrfürchtig in uns aufsogen, überraschten uns unsere Guides mit einem tollen Sundowner-Apéro.

Sundowner im Valle de la Luna, Atacama
Farbenprächtige Abendstimmung im Valle de la Luna, Atacama

Salzseen und Lagunen

Die ersten drei Tage in der Atacama dienten der Akklimatisierung und so beschnupperten wir die liebliche, andinische Hügellandschaft bei San Pedro von angenehmem Säntis-Niveau aus. Als gebürtige Ostschweizerin kommt mir zum Höhen-Niveau um die 2’500 Meter spontan der Säntis in den Sinn – ich bitte um Nachsicht!

Im Zuge diverser Ausflüge stiessen wir tagsüber immer mal wieder in höhere Gefilde vor und unternahmen hier jeweils kurze Wanderungen. Es ist wichtig, den Körper langsam und häppchenweise an die Höhe zu gewöhnen. „Hoch steigen, tief schlafen“, raten die Experten von Bergwelten.

Foto 05.11.18, 14 50 14

Mal Hand aufs Herz, wenn von Sechstausendern die Rede ist, bäumen sich einem vor dem geistigen Auge doch gleich mal gigangtische Felssäulen auf, oder etwa nicht? Ich jedenfalls konnte es gar nicht richtig glauben, dass diese lieblichen Hügelchen tatsächlich die Anden sein sollten. Wenn man dann aber bedenkt, dass man sich beim Betrachten der Hügelchen selbst auf einer stolzen Höhe befindet, relativiert sich das Ganze natürlich.

Toller Blick auf den Salar de Talar - und ein paar nette Gruppen-Gspänli :-)
Toller Blick auf den Salar de Talar, einige Fünf-oder Sechstausender und ein paar nette Gruppen-Gspänli, die sich hier gerade von ihrer besten Seite zeigen 🙂

Fast wie bei uns im Jura… 🙂

Die Geysire des El Tatio 🌋

Am nächsten Tag brachen wir bereits um 5.00 Uhr auf zu den Geysiren des El Tatio auf knapp 4’500 Metern. Es ist das höchst gelegene Geysirefeld der Welt.

Das Thermometer zeigte bei unserer Ankunft unglaubliche minus 13 Grad an, entsprechend warm hatten wir uns für diese morgendliche Exkursion eingepackt. Wer das Fontänen-Spektakel am El Tatio sehen möchte, muss unbedingt vor Sonnenaufgang vor Ort sein. Erstens ist das Naturschauspiel mit den ersten Sonnenstrahlen am eindrücklichsten und zweitens ist der Spuk mit zunehmender Temperatur dann rasch vorbei.

Die Szenerie am El Tatio ist faszinierend. Überall blubbert und dampft es aus dem Erdboden und es liegt ein beissender Schwefelgeruch in der Luft. In mir wurden sofort Erinnerungen an den gigantischen Yellowstone-Nationalpark, an die Kanaren und last but not least an Island wach. Im Gegensatz zu jenen Destinationen blubbert es im Geysirefeld von El Tatio, aufgrund der exklusiven Höhenlage, jedoch bereits ab ca 85 Grad Celsius und nicht erst bei 100 Grad.

Mit dem Anstieg der Temperatur ziehen sich die Geysire wieder in ihre Löcher zurück und blubbern entspannt dem nächsten Morgen entgegen.

Die Geysire verstummten, dafür knurrten nun unsere Mägen. Im Nu hatte unsere Crew ein reichhaltiges Frühstücksbuffet herbeigezaubert. Ein tolles Erlebnis, mitten in dieser einzigartigen Kulisse und mit dem wundervollen Geruch von faulen Eiern in der Nase feudal zu brunchen. (Ironie beiseite: es war wirklich toll! 😀)

Eigentlich hätte sich hier jeder sein Frühstücks-Ei selbst bis zur gewünschten Härte zubereiten können. Kochendes Wasser hätte es ja genügend. Allerdings bezweifle ich, ob rohe Eier den Transport auf der holprigen Zufahrtspiste am frühen Morgen überlebt hätten.

Je dünner die Luft, desto fetter das Panorama

Am vierten und letzten Tag in der Atacama-Wüste stand uns schliesslich noch die Königsdisziplin bevor: die Besteigung des Cerro Toco, dessen Gipfel sich auf sagenhaften 5’616 Metern über Meer befindet. Wir starteten unsere Wanderung auf ca. 5’000 Metern.

Solange ich im Auto sass, merkte ich rein gar nichts von der Höhe. Doch mit der ersten hastigen Bewegung beim Verlassen des Autos war mein innerer Schiedsrichter sofort zur Stelle. „Foul!“, schrie er. Dann zückte er mit einem süffisanten Grinsen die gelbe Karte aus seiner Brusttasche und verwarnte mich gleich mal mit einem kurzen aber heftigen Stich durch die gesamte Schädeldecke – autsch! 

Nach dieser ersten, schmerzhaften Lektion, ging ich alles weitere dann automatisch einen Tick langsamer an und setzte achtsam – stets in Kontakt mit meinem inneren Schiedsrichter – einen Fuss vor den anderen.

Ich halte hier an Position 5 tapfer mit…  (Foto: F. Fischer)

Pausen sind wichtig und der Orangensaft aus der Lunch-Box wird zum willkommenen Zuckerlieferant. Primär aus Interesse und weniger aus akutem Anlass, liessen wir hier auch unseren persönlichen Sauerstoffwert bestimmen.

«Der Sauerstoffgehalt in der Luft beträgt in jeder Höhe 21%. Durch abnehmenden Luftdruck steht dem Körper auf über 8.000 m aber nur noch ein Drittel des Sauerstoffs auf Meereshöhe zur Verfügung. Das erklärt, warum die allermeisten Höhenbergsteiger auf künstlichen Sauerstoff zurückgreifen.»

(Quelle: Bergwelten.com)

Ich fand die Erfahrung, wie mein eigener Körper (und mein innerer Schiedsrichter) sich mit diesen ungewöhnlichen Gegebenheiten arrangierte, extrem spannend. Und, wie soll ich sagen, wir waren ein verdammt starkes Team: mein Körper, der Schiedsrichter und ich. Und ja, natürlich schwang eine grosse Portion Dankbarkeit mit, als ich oben auf dem Gipfel des Cerro Toco – auf sage und schreibe 5’616 Metern über Meer – die Hände zum Himmel warf und ein stolzes ¡Caramba! in die dünne Andenluft schrie.

Ich winke hier von 5616 Metern über Meer.
GESCHAFFT!!! Ich winke hier von 5616 Metern über Meer.

Das Panorama vom Gipfel des Cerro Toco ist atemberaubend schön.

Die Luft ist dünn, dafür das Panorama umso fetter!

Nach diesem Höhenflug ging es zurück nach San Pedro und damit buchstäblich nur noch bergab – bis Säntis-Niveau eben 😉

Der Rest des Tages stand zur freien Verfügung. Ich nutzte die Zeit für einen Spaziergang durch die staubigen Gassen San Pedros.

Am nächsten Morgen hiess es bereits Abschied nehmen von der wundervollen Atacama-Wüste. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich hier nicht zum letzten Mal war…

Mein uneingeschränktes Fazit zur Atacama-Wüste:

Oh ja, das ATACAMA schon so machen,
aber dann bleibt es halt
auf immer und ewig im Herzen! ❤️

P.S. während ihr diese Zeile lest, versammeln sich in meinem Kopf bereits die Puzzle-Teile für die Fortsetzung dieser Blogserie. In diesem Sinne: dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich – wir lesen uns drüben in Bolivien!

P.P.S. als Überbrückung kann ich diese Anekdote aus Lima offerieren 🤠

¡Hasta luego, amigos! 🙂

Mein Stop-Over bei den Schönen und Reichen in Lima (Peru)

Kürzlich bin ich von einer Trekking-Tour durch die imposante Atacama-Wüste im Norden Chiles und den farbenprächtigen bolivianischen Altiplano zurückgekehrt. Die Rückreise führte mich vom höchstgelegensten Flughafen Südamerikas, El Alto, via Lima (Peru) zurück nach Europa. In Lima stand mir ein zwölfstündiger Aufenthalt bevor. Ich klärte bereits im Vorfeld ab, welche Möglichkeiten sich mir zur Überbrückung des grosszügigen Zeitfensters vor Ort boten. Wie realistisch war es, den Flughafen Lima zu verlassen, der peruanischen Hauptstadt eine Stippvisite abzustatten, in einem flauschigen Lokal ein leckeres Lomo Saltado* zu schmausen und es schliesslich pünktlich zum Boarding zurück zum Flughafen und ans Gate zu schaffen?

Ich hörte mich zu dieser Frage auf verschiedenen Weltenbummler-Kanälen um. Die Einschätzungen der Experten reichten von „das tust du dir mal lieber nicht an!“ bis hin zu „voll easy – just do it!“
Papperlapapp! Ich nahm mir vor, mich direkt vor Ort der Situation hinzugeben, einen kleinen SWOT-Check am eigenen Leib durchzuführen und dann spontan zu entscheiden, ob ich mich als alleinreisende Frau ins Getümmel dieser südamerikanischen Metropole wagen konnte/wollte/durfte/sollte.

In den Tagen unmittelbar bevor es soweit war, nutzte ich in der Wüste Boliviens jede noch so wackelige WLAN-Verbindung, um an fundierte Informationen über das mir bisher unbekannte Lima zu kommen. Bald fand ich heraus, dass der Stadtteil Miraflores die Ecke der „Schönen und Reichen“ sei und als besonders „safe“ gilt. Ich will nicht überheblich klingen, aber wenn überhaupt, dann gehörte ich in den paar wenigen Stunden meines Aufenthalts genau dort hin!
Meine weitere Recherche ergab, dass es für die „Schönen und Reichen“ sogar einen Bus gab, den Airport-Express Lima. Der Shuttle-Service verbindet Miraflores in nur gerade einer Stunde Fahrt direkt mit dem Flughafen. Das klang toll und super-easy.

Voller Tatendrang bestieg ich also an jenem Freitag Morgen in aller Herrgottsfrühe und auf sagenhaften viertausend Metern über Meer in El Alto (La Paz) das Flugzeug und freute mich auf mein bevorstehendes Lima-Abenteuer. Meine Trekkingtasche konnte ich leider nicht von El Alto bis Zürich durchchecken, sondern würde sie in Lima vom Gepäckband abholen und neu aufgeben müssen. „Easy“, dachte ich mir, „Zeit genug habe ich ja.“ Dass der Baggage-DropOff-Schalter  erst kurz vor dem Weiterflug öffnen könnte, hatte ich mit keiner Sekunde bedacht.
Und dann stand ich also da. Mitten im Flughafen von Lima. Mit einem langen Gesicht, einer 15 Kilogramm schweren Trekkingtasche auf dem Buckel, mit Schweissperlen und einem grossen Fragezeichen auf der Stirn, und einem Magen, der – nachdem ich ihm in den vergangenen Tagen jede Menge Honig ums Maul geschmiert hatte – nun gefälligst auf sein Lomo Saltado bestand.

Projekt „Schliessfach“

Ein Schliessfach musste her! Und so stolperte ich also wachsamen Blickes durch den Flughafen von Lima, liess mich von einem Infoschalter zum nächsten dirigieren bis sich endlich jemand traute, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen: ES GIBT KEINE SCHLIESSFÄCHER AM FLUGHAFEN VON LIMA. Für den Bruchteil von Sekunden zweifelte ich an meinem Spanisch und sicherte die Aussage daher noch auf Englisch ab und – taddaaa: es gibt TATSÄCHLICH keine Schliessfächer am Flughafen von Lima!

Mit einem noch viel grösseren Fragezeichen auf der Stirn liess ich meinen Blick aus den grossen Fensterfronten der Ankunftshalle  gleiten und entdeckte dabei direkt gegenüber das Hotel Wyndham. „Na los!“, pushte ich mich selbst, „da gehst du jetzt hin, knöpfst dir den Concierge vor und deponierst deine Tasche für ein faires Trinkgeld in seinem stillen Kämmerlein.“ Soweit der Plan. Der Concierge war zuvokommend und freundlich und meine Frage offensichtlich 0815-im-Quadrat. Vermutlich stand sie an oberster Stelle seines Frequently-Asked-Questions-Katalogs. „Ohne Zimmernummer kein stilles Kämmerlein“, erklärte mir der Portier freundlich. „Hätte ich eine Zimmernummer, bräuchte ich kein stilles Kämmerlein“, konterte ich. Ein Teufelskreis… mit dem schlechteren Ende für mich, herrje.

Ein Sprichwort besagt:

„Wenn dir das Leben Zitrone bietet, besorge dir Salz und Tequila.“

Offensichtlich war nun der Moment, nach Salz und Tequila Ausschau zu halten. Ich rang mich schliesslich zähneknirschend zur bequemsten und, zumindest aus der Sicht meines Geldbeutels, gesalzensten Option durch, die sich mir in der aktuellen Lage bot: ich gönnte meiner Tasche ein Schliessfach Deluxe 😂

Foto 16.11.18, 15 15 16.jpg
Schliessfach „Deluxe“ – Trotz ausgehandeltem „Spezialpreis“ ist es ohne Zweifel das schickste und teuerste Schliessfach EVER 😉

Projekt „Lomo Saltado“

Nach dem Zimmer- bzw. Schliessfachbezug konnte ich nun endlich mein Lomo-Saltado-Projekt in Angriff nehmen 😋

Die Haltestelle des Airport-Express – na ihr wisst schon: dem Bus für die Schönen und die Reichen – befand sich direkt vor meinem Schliessfach-Hotel. Perfekt! Ich schnappte also meinen Tagesrucksack und machte mich auf die Socken.
Wo genau in Miraflores ich denn hin wolle, fragte mich Juan, der Ticketverkäufer im Bus. Ich hatte sowas von keine Ahnung und zog meine Schultern bis zu den Ohren. Ich erklärte ihm, dass ich zum ersten Mal in Lima sei, hier nur ein paar Stunden Stop-Over zu überbrücken und dabei vor allem ein Ziel hätte, nämlich das BESTE Lomo Saltado der Stadt zu schlemmen. Juan brauchte gar nicht lange nachzudenken und empfahl mir spontan das Punto Azul an der Ecke San Martín/Alcanfores. Juan schlug vor, beim fünften Bus-Stop auszusteigen und durch den Parque Kennedy und die Avenida José Larco zu schlendern. Das Punto Azul befände sich gleich hinter der Touristeninformation und diese wiederum könne ich nicht übersehen. Ich bedankte mich für den Tipp und verband mich artig mit dem Free-WiFi, um mein Bus-Ticket abzurufen.

Als ich die Ecke San Martín/Alcanfores erreichte, war ich sicher, dass Juans Restaurant-Tipp top war. Die Menschen standen hier bis auf die Strasse in der Warteschlange.  Ich stellte mich artig hinten an. Ich hatte Glück – gerade war im Lokal ein Einzeltisch frei geworden und weil alle vor mir mehrere Plätze benötigten, durfte ich frech an der ganzen Warteschlange vorbeiziehen. So fühlte sich also dieses „schön und reich“ an. 👸

Und dann war er da. Der Moment, in dem ich endlich mein Lomo Saltado – das BESTE in der Stadt – bestellen durfte.

Mission accomplished 😋😊

Foto 16.11.18, 18 46 37

Als ich die Rechnung verlangte, fragte mich der Kellner, ob ich solo sei. Für einen kurzen Moment dachte ich, dass der Typ mich in einen billigen Flirt verwickeln wollte. Ich bemerkte das sprachlich bedingte Missverständnis aber – Gott sei Dank, puhh –  gerade noch rechtzeitig. Nein, er fragte nicht nach meinem Beziehungsstatus, sondern, ob ich in der peruanischen Landeswährung, in Sole, oder in Dollar bezahlen wollte 😜

Gemütlich schlenderte ich weiter der Avenida José Larco entlang, bis ich schliesslich das Larcomar, den Einkaufs- und Flanier-Komplex in Miraflores mit exklusivem Blick auf den Pazifischen Ozean erreichte.

Foto 16.11.18, 20 29 38
Larcomar, Shopping- und Flanier-Zentrum in Miraflores, Lima

Vor dieser herrlichen Kulisse gönnte ich mir schliesslich noch einen allerletzten Pisco Sour, bevor es mit dem Bus (genau: dem für die Schönen und Reichen…) zurück zum Flughafen ging.

Für die verbleibenden zwei Stündchen meines Lima-Aufenthalts nutzte ich dann noch die Vorzüge meines luxuriösen Schliessfaches. Alles in allem war es ein herrlich improvisierter, SCHÖNer und beREICHender Tag, den ich in der peruanischen Hauptstadt Lima verbringen durfte.

Lomo Saltado ist ein typisch peruanisches Pfannengericht bestehend aus Rindfleisch, Zwiebeln, Reis, Pommes und Ei. Das Ganze an einer würzigen Soja-Tunke mit einem Schuss Pisco – mmmhhhh 😋